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In dieser Logik stehen besonders all jene sozialpolitischen Dispositive in der Kritik, die ihre Existenz der Solidarität der Arbeiterklasse zu verdanken haben und aufgrund teilweise heftiger Klassenkämpfe eingeführt worden sind.

 

Das Hauptmotiv ist das fremdenfeindliche Ressentiment, dass seine Wurzeln immer im rassistischen Denken zu suchen hat. Nich zufällig ist deshalb die jeweilige Ausgestaltung der Asylpollitik das Labor, in welchem jene Politiken erprobt werden, welche entwickelt werden, um jene Gruppen zu konstruieren, denen man die Missbräuche von irgendetwas vorwirft, um sie nachher zur Zielgruppe und Projektionsfläche zu machen, die der Spannungsabfuhr des Ressentiments dient.

Die grossen Einschränkungen der Menschenrechte, die Kaltherzigkeit der reichen Schweiz hat in der Politik zuerst die in diesem Lande Asyl suchenden Menschen getroffen. Asylsuchende Menschen sind in der Regel Menschen mit wenig Macht und dementsprchend wenig Prestige. Anni Lanz und Manfred Züfle haben in ihrem 2007 in Zürich bei der edition 8 erschienem Buch «Die Fremdmacher» die Chronik dieses das Ansehen des Landes beschädigenden Politik beschrieben. Dass andere europäische Länder sich einer gleichgelagerten Unmenschlichkeit befleissigen, macht nichts besser sondern schlimmer.

Die Graphik auf Seite 3 des Tagesanzeigers zeigt sehr genau, die Entwicklung dieses «Missbrauchsdiskurses» seit der Jahrhundertwende.  Während «Asylmissbrauch» bereits 1999 einen ersten Anstieg erreicht, wird dieses soziale Vorurteil 2001 zu einem richtigen Kampfbegriff, dessen Verwednung in der Presse ab 2003 wieder zurückgeht. Mit diesem Rückgang gekoppelt ist ein relativer Peak des Terms «scheininvalid», dessen Gebrauch sich aber von 2003 zu 2005 ebenfalls abbaut, während dafür der Term «Sozialhilfe-Missbrauch» seit 2005 bis heute ständig neue Höchstmarken erreicht. «Scheininvalide» wird in der Auseinandersetzung um die 5. IVG-Revision selbst wieder zu einem neuen Kampfbegriff. Die dem Medienarchis SMD durch die Tagesanzeigerredation entnommenen Daten scheinen eine deutliche Sprache zu sprechen. Der SVP ist es gelungen die Missbrauchsfrage als zentrale Frage in der Auseinandersetzung um den Bezug von sozialen Hilfedispositiven im Diskurs umsolidarische Momente dieser Gesellschaft zu machen. Damit ist es ihr gelungen eine wichtige Verschiebung in der Gewichtigung des Diskurses zu erreichen. Solidarität ist nicht meht eine Selbstverständlichkeit der Gesellschaftsmitglider füreinander, die von jedem beansprucht werden kann, der sie nötig hat. Solidarität muss im Sinne der Simmelschen Armutstheorie wohl berechtigt nun «erworben» werden. Da prinzipiell im Diskurs jedem, der an die Solidarität der Anderen appeliert, Missbrauch unterstellt wird, werden Prozeduren eingerichtet, die abklären müssen, ob der Appell berechtigt ist. Das ist insofern interessant, als mit Hilfe dieses Diskurses, die bisherigen Prodzeduren, die diese Aufgabe zu erfüllen hatten, entlegitimiert werden. Das Argument, das dafür verwendet worden ist, ist ein denkbar einfaches. Man hat sich, ohne nach Gründen zu fragen, des Anstiegs der Renten bedient, sie mit der Diagnose eines Finanzloches nach oben plafoniert und die Prozeduren verschärft. So konnte denn auch die IV voller Stolz schon in Krafttreten der 5 IVG-Revision auf sinkende Neuberentungen hinweisen. In der Logik dieses Diskurses war es deshalb nötig, die Zugangsbedingungen zu Renten noch weiter zu beschränken. Da mit der Abnahme der Neuberentungen bei der Invalidenversicherung die Zahl der Sozialhilfeempfänger anwächst, ist das ein Argument, um wieder mit Hilfe des Missbrauchsdikurses, die Bespitzelung mutmasslicher BetrügerInnen durch so genannte «Sozialdetektive», eine Art Vorläufer zur Wiedereinführung der durch die Nazi bekannt gewordenen Blockwarte, in vielen Gemeinden einzuführen. Weitere Massnahmen, wie das aus den stalinistischen Zeiten der ehemaligen Sowjetunion bekannte Rayonverbot sind in Vorbereitung und werden teilweise bereits angewandt, etwa im Zusammenhang mit der «Rückführung» von drogenkranken Menschen in ihre so genannten «Wohngemeinden».

Das sind die Fluchtlinien der von der SVP angestrebten «Volksgemeinschaft» der Versuch aus der multikultrellen  und freiheitlichen Gesellschaft der Schweiz ein helvetisches Gefängnis eines deuschschweizerischen Bidersinns zu machen, der mit den Wurzeln dieses Staates, die in der Revolution von 1848 ruhen nichts mehr gemein hat. Diese revolutionären Wurzeln der Schweiz sind ein starker Republikanismus, ein föderatives Staatsverständnis, Distanz zu allen Religionen und starke Machtkontrollen durch die Instrumente der direkten Demokratie.

Wie allerdings lässt sich nun dieser anscheinend so durchschlagende Erfolg dieser reaktionären Politik erklären? Eine mögliche Erklärung lässt sich so formulieren. Wenn ein System wächst, so wie es die Schweiz in den letzten zehn Jahren der Hochkonjunktur getan hat, dann steigen in seinem Inneren die strukturellen Spannungen an. Diese strukturellen Spannungen zeigen sich auf verschiedenen Dimensionen, wie etwa jener von Stadt / Land, aber vor allem auf der zentralen Dimension dieser Gesellschaft, der Reichtumsdiskussion. Die Spreizung der Einkommensverteilung hat enorm zugenommen. Im Zusammenhang mit den Börsenspekulationen sind rasch sehr grosse Vermögen entstanden, die ihr Zustandekommen der Laune des Börsenkasinos verdanken. Wo die strukturellen Spannungen zunehmen, da wachsen aber auch die anomischen Spannungen an. Anomische Spannungen sind Spannungen, die bei den gesellschaftlichen Akteuren dort anwachsen, wo diese eine zunehmende Diskrapenz zwischen ihren Vorstellungen, wie die Geselschaft sein sollte und ihrer Wahrnehmung, wie diese Gesellschaft ist, feststellen. Um beim Beispiel zu bleiben: in dieser Kultur soll Reihtum im Zwinglianischen Sinne durch harte Arbeit erworben werden. Niemand wird bestreiten, dass eine Kassiererin bei einem beliebigen Grossverteiler in einem Lohnarbeitsverhältnis stehend, hart arbeitet, bei einem beliebigen Manger eines beliebigen, hier nicht zu nennen Pharmakonzerns in Basel, der 2006 ca. 40 Mio SFr pro Jahr «verdient» hat, ist sehr unklar, sie stark diese Person ihren Lohn «erarbeitet» hat, hätte er doch etwa 400 mal härter arbeiten müssen als die Kassiererin. Dass dem nicht sein kann, ist offensichtlich. Die Kultur hat eine weitere Pufferung dafür eingebaut. Der Manager hat schliesslich früher einmal auf Medizin studiert, er ist ein «Doktor», ergo «gescheiter» als die ungelernte Kassierin, also verdient er auch mehr. Aber gleich 400 mal mehr? Ein ungutes Gefühl, dass hier etwas nicht stimmen kann, steigt auf. Soziologisch gesprochen hat die anomische Spannung zugenommen. Wenn anomischen Spannungen zunehmen, dann werden jene Akteure, die sie verspüren, unzufrieden. Wenn Unzufriedenheit ansteigt, dann steigt das antistatusquo-Potential in der Gesellschaft. Die Frage, die sich nun stellt, wie kann bei einem hohen Spannungsniveau, das bestehende Gleichgewicht der Machtverteilung aufrechterhalten werden, wenn wie wir gesehen haben, die Legitimität der Reichtumsverteilung längst ins Ruschen geraten ist? Gefahr für die bestehende Machtverteilung besteht dann, wenn die anomischen Spannungen auf einem hohen Niveau kollektiviert werden. Günstig für die Aufrechterhaltung der Machtverteilung ist ein tiefer Kollektiviertungsgrad. Ein solcher zeigt sich etwa im Ausschöpfen des Suchtpotenzials einer Gesellschaft. Die Schweiz weist einen beachtlichen Teil von stark alkoholabhängigen Menschen aller Altersstufen auf. Die Suizidrate in diesem Land ist hoch, beinahe 10 Prozent der Bevölkerung kiffen regelmässig. Die Scheidungsrate nähert sich inzwischen 50 % an. Das manifeste Auftreten von Gewalt in der Öffentlichkeit hält sich vorderhand noch im Rahmen, während das Auftreten häuslicher Gewalt vermutlich sehr hoch ist, ohne dass hier genauere Zahlen vorliegen würden. Auf dieser individualisierten und damit auch «privatisierten» Ebene wird bereits ein hoher Teil der anomischen Spannungen absorbiert, und zwar auf eine Art und Weise, dass die betrunkene Frau, die von ihrem ebenfalls betrunkenen Mann geschlagen wird, noch nicht einmal mehr ahnt, wie stark ihr persönliches Elende dazu dient, dass Menschen wir Martin Ebner, mit oder ohne Valium, gut schlafen können, derweil sein Kumpane aus den finsteren Zeiten der Zerstörung der Arbeitsplätze bei Alusuisse in der Westschweiz,  Christoph Blocher im Bundesrat das Justizdepartemen «hütet». Eine etwas höhere Form der Kollektivierung der anomischen Spannung sind alle jene Versuche, welche die Kultur im Sinne von sozialen Vorurteilen anbietet. Das soziale Vorurteil folgt einem einfachen Mechanismus von Spaltung und Projektion. Menschen werden entlang einer Dimension, eines scheinbaren Merkmals, etwa «fremd» zu sein – also nicht zu sein «wie wir» (was immer das auch heissen könnte) – von diesem vorurteilshaft konstruierten «wir» abgesondert. Die negativen Aspekte des eigenen Erlebens werden auf diese Menschn projiziert, die dergestalt zu den Sündenböcken gemacht werden, die «Schuld» haben an der schlechten Stimmung. Auf diese Art und Weise erfolgt eine geschickte Ablenkung von der zentralen Spannungsachse, jener der Reichtumsverteilung. Das Grundmodell dafür liefert der in allen christlichen Kulturen manifeste Antisemitismus, der Juden und den Islam umfasst, seit vielen hundert Jahren.  Hier den «Asylmissbrauch» als Kampfzone auszuwählen ist besonders geschickt, weil hier eine Gruppe von besonders schwachen Menschen mit wenig Chancen, sich zur Wehr zusetzen zur Zeilscheibe der Projektion wird.  Der Angriff auf die Sozialwerke wiederum ist ein weiteres geschicktes Manöver, die Kollektivierung der anomischen Spanungen tief zu halten, werden hier dochd ei Grundwerte der Liebe und der Solidarität zwischen den Menschen durch den Missbrauchsdiskurs lächerlich gemacht, und das neoliberale «homo homini lupus» kann seine Urständ feiern. Auf diese Weise wird die kulturelle Paranoia angeheizt, wenn das mit der Zunahme an psychischen Behinderungen korreliert, tant mieux, dann zeigt sich gerade hier die Nützlichkeit des Missbrauchsdiskurs, der die der Hilfe benötigten Menschen noch weiter an die Wand drängt. Die Sozialpsychiatrie, die einst angetreten war, die gesellschaftlichen Hintergründe persönlicher psychischer Erkrankungen aufzuklären und die Spannungen dorthin rückzutransferieren, wo sie entstanden sind, steht ihrerseits mit dem Rücken zur Wand, unfähig, sich einer mit den Milliarden der Pharmaforschung aufgerüsteten medikamentös operierenden Psychiatrie argumentativ entgegenzutreten.

Es ist vollständig überflüssig, sich moralisch zu empören und im Ethikspielkasten nach heren Prinzipien des Verhaltens zu forschen. Es genügt, einige die Struktur der gesellschaftlichen Verhältnisse betreffende Überlegungen anzustellen, um zu verstehen, wo die Erfolge dieser Missbrauchsgeschichten liegen