Irre ich mich oder hatte man im Zusammenhang mit der Neuordnung des Finanzausgleiches zwischen Bund und Kantonen nicht bereits diesen Schritt im wesentlichen vorgesehen? Vielleicht verstehe ich einfach nichts von der Sache. Jedenfalls ist es interessant, dass in den Kreisen der Sozialwerke erstens immer wieder «Fälle» – es ist jeder «Fall» ein Mensch mit einem individuellen Schicksal, das aus Erfolgen, Misserfolgen, gelingenden und scheiternden Versuchen besteht, sein Leben zu leben – «herumgeschoben» werden. Sozialversicherungen sind aber keine Logistikunternehmen, die irgendwelche Palette mit irgendwelchen Produkten darauf durch die Gegend zu verschieben haben. Sozialversicherungen sind solidarische Werke die der Staat dafür eingerichtet hat, dass Menschen, die aus sehr unterschiedlichen Gründen allerdings, innerhalb der geltenden Spielregeln des Arbeitsmarktes auf diesem keine oder geringe Chancen haben, in nach den Massstäben dieser Gesellschaft gemessenes menschenwürdiges Leben zu führen in der Lage sind.
Schmid kritisiert die heute geltende Steuerpolitik, indem er fesststellt: « Eine «Trendumkehr» bei der Armut wäre mögloich, wenn der politische Wille dazu vorhanden wäre, sagte Schmid. Er kritisierte, dass zur zeit nur noch über Steuersenkungen bei den höheren Einkommen diskutiert werde. Würden dadurch die Steuereinnahme zurückgehen, entschuldige man sich bei den Armen: «Für euch reicht es elider nicht mehr». Das Ziel der Uno, die Armut bis 20015 zu halbieren, gelte auch für die Schweiz, sagte Schmid. – Beim Aktionsplan der Uno, dies sei angefügt, stehen allerdings weniger die armen der hochentwickelten Länder im Mittelpunkt als vielmehr die «extrem Armen» der Entwicklungsländer, die weder über genügend Trinkwasser noch ausreichende Nahrung verfügen».
An diesem Zitat sind zwei Aspekte interessant. Zum einen, dass der Präsident der SKOS sich auf einen supranationalen Referenzrahmen bezieht, um den Kampf gegen die Armut in der Schweiz zu rechtfertigen. Das kann zum einen bedeuten, dass die nationalen schweizerischen Orientierungsrahmen sowei erodiert sind, dass sich aus ihnen soloidarisches Handeln nicht mehr ableiten lässt, es kann aber auch bedeutend, dass mit dieser Argumentation eine «höhere» Ebene von Prestige angezapft werden soll, um die Auseinandersetzung in der schweiz zu alimentieren. Die NZZ kontert diesen Versuch allerdings mit dem Hinweis darauf, die Uno meine es nicht so, sie interessiere sich nicht wikrlich für die Armen in der Schweiz sond für die «wirklich» Armen, jene «extrem Armen», die noch nicht einmal Zugang zu Trinkwasser und genügender Nahrung hätten. Nun in nicht einmal ganz zwei Stunden Flugzeit von hier, ist das alles zu haben. Möglicherweise hängt die Migrationsdrift auch mit solchen Aspekten zusammen, wer weiss?
Im Kasten mit dem Titel «Anreize für Integrationsbemühungen» auf der gleichen Seite wird zum Artikel festgehalten, dass nun im Zusammenhang mit der Sozialhilfe Anreize geschaffen werden, damit sich die Sozialhilfebezüger um die Integration in den arbeitsmarkt bemühen. Dazu sollen «Einkommensfreibeträge» helfen, im Umfang von 400 bis 700 Franken monatlich soll sich Arbeit bezahlt machen und es soll nicht mehr wie bis anhin jeder selbstverdiente Fragen von der Unterstützung gleich weider abgezogen werden. Der «Grundbedarf» wird errechnet auf das Konsumverhalten der einkommensschwächsten 10 Prozent der Bevölkerung. Für Menschen, die aus «objektiven Gründen» nicht an Massnahmen zur Integration teilnehmen können, gibt es Zulagen. So ist der Wechsel vollzogen. Die «Bringschuld» – was für ein schlimmes Wort – liegt bei den Subjekten. Sie müssen die Professionals der sozialen Arbeit davon überzeugen, dass sie objektiv keine Anstellung gefunden haben. Missbräuche der der Sozialhilfe will man wirksam damit bekämpfen, dass man die Leistungen um 15% kürzt, eine Massnahme, die bis zui einem Jahr ausgedehtn werden kann. SKOS GEschäftsführeer Ueli Tecklenburg versichert allerdings, dass der Missbrauch ohnehin nur von einer ganz geringen Zahl der Fälle begangen werde.
Auf Seite 15 der NZZ vom 4. Januar 2006, schreibt der Ordinarius für öffentliches Recht der Univrsität St. gallen, Prof. Dr. Philippe Mastronardi unter dem Titel «Weniger Staat, dafür mehr Verantwortung» über die marktwirtschaftlicher Erfüllung öffentlicher Aufgaben «Wir können im Privaten nur frei sein, wenn wir im Öffentlichen das Recht haben, die Macht, die andere über uns beanspruchen, zu kontrollieren. Es braucht die öffentliche Verantwortlichkeit für die private Freiheit».
Interessant ist, dass der Jurist klar eine Unterscheidung trifft zwischen «öffentlich» und «Staat», wenn er sagt: «Dabei ist entscheidende, dass Öffentlich nicht mit dem Staat gleichgesetzt wird, sondern alles Handeln erfasst, das sich nicht auf den persönlichen Bereich beschränkt. Alles gesellschaftliche und wirtschaftliche Handeln ist öffentlich und damit rechenschaftspflichtig». Er bezeichnet den Staat als die wichtigste Organisation der öffentlichen Verantwortung. Gesellschaft und Wirtschaft bräuchten den Staat, damit sie ihre Verantwortung wahrnehmen würden. Überall dort, wo eine öffentliche Aufgabe privat erbracht werde, brauche es eine Re-Regulierung zur Wahrung öffentlicher Interessen, «das reich von der Swisscom oder den SBB übeer die Krankenversicherung und die berufliche Vorseorge bis zur Selbstregulierung im Geldwäschereibereich».
Unter diesem Aspekt wäre es interessant die zur Zeit im Schwange sich befindliche politische Forderung nach mehr individueller Selbstverantwortung in allen klassischen Feldern sozialer Probleme genauer durchzudenken. Welche Regulierungen werden abgebaut, welche werden neu aufgebaut, welche Kontrollen und Barrieren werden intrinsisch motiviert und welche extrinsisch? Und welche Folgen haben welche Organisationsformen?
Zu welchem Ergebnis man auch immer käme, es wäre wesentlich komplexer als die einfache Formel des Missbrauchs und der Ettikettierung von Menschen als «Scheininvaliden».