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Ebenso hat er bereits eine Reihe von Originalbücher (verschiedene Erstauflagagenexemplare der Mongraphie) an Prof. Dr. Johannes Fehr, dem Vertreter des Collegium Helveticums übergeben, der sie bereits mit nach Zürich nehmen konnte. Mich hat es sehr gefreut, für diese Transaktion, die Kontakte herstellen zu können. Die Epistemologie von Ludwik Fleck ist für die Forschung im Bereich von Behinderung von unschätzbarem Wert und es ist schön, dass die Originaldokumente nach und nach nach Zürich kommen werden.

In der Post finde ich ein Paket; der Chronos-Verlag hat die Dissertation von Carlo Wolfisberg«Heilpädagogik und  Eugenik. Zur Geschichte der Heilpädagogik in der deutschsprachigen Schweiz (1800 - 1950)» geschickt.

Im Briefkasten liegt die NZZ am Sonntag, welche auf Seite 75 in der Rubrik »Wissen« den Artikel »Die Test-Spirale dreht sich« abdruckt.

Eugenik:

Was für ein Wort!

Und welche Bedeutung in der Geschichte der Heil- und Sonderpädagogik ihm zukommt.

Die Internet-Ezyklopädie Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Eugenik) führt am 22. 5. 05 folgenden Eintrag und dem Stichwort «Eugenik»:

»Eugenik oder Eugenetik (gr. eugenes wohlgeboren) ist die historische Bezeichnung für die Anwendung der Erkenntnisse der Humangenetik auf Bevölkerungen. Der Begriff wurde 1883 vom britischen Anthropologen Francis Galton (1822-1911), einem Vetter ersten Grades von Charles Darwin, geprägt. Galton verstand unter Eugenik eine Wissenschaft, deren Ziel es ist, durch »gute Zucht« den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen zu vergrößern.

Durch Begünstigen der Fortpflanzung »Gesunder« durch frühen Eheschluss und der Unterstützung hoher Kinderzahlen einerseits sowie das Verhindern der Fortpflanzung »Kranker« durch Empfängnisverhütung andererseits sollten die Erbanlagen in der Bevölkerung langfristig »verbessert« und erblich bedingte Krankheiten vermindert werden.

Das eugenische Konzept beruht auf frühen humangenetischen Entdeckungen und sozialdarwinistischen Überlegungen, soziale Faktoren und kulturelle Traditionen wurden demgegenüber als sekundär betrachtet. Der korrespondierende gegenteilige Begriff zur Eugenik ist die Dysgenik, also das Prinzip der schlechten Zucht. Beispielsweise unterstellten und unterstellen US-Rassisten den US-amerikanischen Schwarzen, u.a. aufgrund von durch Sklaverei bedingter Dysgenik schlechtere durchschnittliche Intelligenzwerte zu erzielen.

Einer der frühesten Propagandisten der Eugenik war Alexander Graham Bell, gemeinhin bekannter als angeblicher erster Erfinder des Telefons.

Bell erforschte zwischen 1882 und 1892 die Häufung von Taubheit auf der Insel Martha's Vineyard nahe Boston, USA. Aus seinen Untersuchungen zog er - in Unkenntnis der nur wenige Jahre früher von Gregor Mendel formulierten Vererbungsgesetze - Schlüsse, die heute als falsch angesehen werden. Er empfahl in der Monographie »Memoir upon the Formation of a Deaf Variety of the Human Race« ein Eheverbot unter »Taubstummen«, die eugenische Kontrolle von USA-Immigranten und warnte vor Internaten an den »Taubstummen«-Schulen als mögliche Brutstätten einer tauben Menschenrasse. Spätere Arbeiten von Rassenhygienikern stützten sich bis weit in das 20. Jahrhundert ungeprüft auf Bells Angaben. Als Folge wurden zahlreiche taube Menschen ohne ihr Wissen und ohne ihr Einverständnis sterilisiert. Dabei soll Bell durchaus die methodischen Schwächen seiner Untersuchungen gekannt haben.

1896 wurde im Bundesstaat Connecticut, USA, ein Gesetz erlassen, das »Epileptikern, Schwachsinnigen und Geistesschwachen« die Heirat verbot.

Später wurde dieses Verbot mit Zwangssterilisationen durchgesetzt. Schätzungen zufolge sind in den USA über 100000 Menschen im Rahmen dieses Programms sterilisiert worden. Dabei handelte es sich nicht immer um einen offenen Zwang, häufig wurden die Menschen im Unklaren über die Folgen des Eingriffs gelassen.

1903 beschloss die American Breeders Association (Vereinigung der amerikanischen Rinderzüchter), einen Ausschuss einzurichten, das so genannte Eugenik-Komitee. Dieses Komitee kam zu dem Schluss, dass mindestens 10 Millionen Menschen, rund 10 % der damaligen Bevölkerung der USA, an der Fortpflanzung gehindert werden sollten.

1907 wurde das erste Gesetz, das die Zwangssterilisation aus eugenischen Gründen erlaubte, in Indiana erlassen - weitere 32 US-Bundesstaaten folgten mit ähnlichen Gesetzen bis 1933. Insgesamt wurden rund 60'000 Menschen Opfer der Eugeniker in den USA.

Als besonders sterilisationsfreudig erwies sich der Staat Kalifornien, schon damals ein Zentrum der US-Forschung und privaten Forschungsförderung.

1920 veröffentlichen Karl Binding Alfred Hoche den Bestseller »Die Freigabe der Vernichtung unwerten Lebens«. Die von Karl Binding aufgeworfene Frage, ob Menschen ihren Wert verlieren könnten, bejaht Alfred Hoche. »Unheilbarer Blödsinn« stehe im Vordergrund seines Interesses als Psychiater. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung stand die wirtschaftliche und moralische »Belastung« kranker Menschen.

1921 fand der zweite internationale Eugenik-Kongress unter der Schirmherrschaft des American Museum of Natural History in New York statt. Honorarpräsident war Alexander Graham Bell, der auch mit den Organisatoren das Ziel verfolgte, Gesetze zur Verhinderung der Ausweitung von »defekten Rassen« einzuführen.

Vor dem 2. Weltkrieg wurden die Einreisebestimmungen in die USA dermassen verschärft, dass dieser Immigration Act verhinderte, dass vor den Nazis flüchtende Juden in den USA Einlass finden konnten.

Der Eugenikerbund Eugenics Record Office (ERO) hatte zahlreiche Mitglieder. Viele von ihnen waren in Deutschland bekannt und hochgeachtet, wie z. B. der Leiter Harry Laughlin, der in Deutschland Ehrendoktor wurde. Der wohl bekannteste Eugeniker war Lothrop Stoddard, der Adolf Hitler sogar persönlich kennengelernt hat und dessen Rassenwahn unterstützte. Ein weiterer einflussreicher Eugeniker war Charles Davenport.

Auch in Europa machte die Eugenik Fortschritte - namentlich in fortgeschrittenen Industriestaaten mit mehrheitlich protestantischer Bevölkerung. Bereits um 1910 existierten in solchen Ländern - darunter auch Deutschland - nationale Eugenik-Vereinigungen; in Deutschland nannte sich diese »Gesellschaft für Rassenhygiene«. Bis 1918 wurde sie von »völkischen Rassenhygienikern« wie Alfred Ploetz dominiert, nach 1922 übernahmen gemäßigte Wissenschaftler wie Hermann Muckermann die Führung, bevor 1933 NS-nahe Rassenhygieniker wie Ernst Rüdin das Wort führten. In der Sowjetunion blieb eine »bolschewistische Eugenik« nur Episode in den 1920er Jahren und wurde später durch Stalin zerschlagen.

Da von einer Züchtung »hochwertiger« Nachkommen (»positive Eugenik«) wissenschaftlich keine Rede sein konnte, konzentrierten sich diese Eugenik-Lobbyisten überall primär auf die Verhinderung »minderwertiger« Nachkommen (negative Eugenik). Bei der Bestimmung der Träger »minderwertiger Erbanlagen« spielten allerdings häufig traditionelle soziale Vorurteile eine entscheidende Rolle.

Auf dieser Grundlage und zusätzlich angestachelt durch US-amerikanische Vorbilder entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg auch in Europa eine eugenische Sterilisationspolitik. Den Anfang machte 1929 Dänemark mit einem entsprechenden Gesetz, 1934/35 gefolgt von Schweden, Norwegen, Finnland, 1937/38 auch von Island und Lettland. Fast alle diese Staaten waren damals demokratisch - oft sozialdemokratisch - regiert.

Etwa seit der Jahrhundertwende war die Eugenik - z.T. unter dem umstrittenen Begriff der »Rassenhygiene« - auch in Deutschland ideell und organisatorisch vertreten. Wie in anderen Ländern hatte diese Eugenik zahlreiche politische Schattierungen. In der Weimarer Republik dominierten eine »sozialistische Eugenik« der SPD und eine »katholische Eugenik« der Zentrums-Partei. Zugleich organisierte sich eine »völkische Rassenhygiene«, die noch vor 1933 mit der NSDAP zusammenging, aber bis zur NS-»Gleichschaltung« der deutschen Eugenik in der Minderheit blieb.

Die politische Durchschlagskraft der Eugenik blieb bis 1933 sehr begrenzt: 1920 beschloss die deutsche Nationalversammlung die Einführung eines eugenischen Merkblattes (mit Warnungen vor evtl. erbkrankem Nachwuchs) durch Standesbeamte im Vorfeld jeder Eheschließung, lehnte jedoch mögliche Eheverbote gegen »Minderwertige« strikt ab.

Sterilisationsgesetze wurden von verschiedenen Parteien - am konsequentesten von der SPD - immer wieder diskutiert, greifbarster Erfolg blieb jedoch der Entwurf eines Gesetzes zur freiwilligen eugenischen Sterilisation durch den Preußischen Landesgesundheitsrat 1932, der niemals in Kraft trat.

Bereits vor 1933 wurden eugenische und disgenische Prinzipien verfolgt: in Deutschland fielen tausende von »Rheinland Bastarden« der zwangsweise Sterilisation zum Opfer. Allerdings kam zu den Beweggründen für dieses Verbrechen neben impliziten disgenischen Erwägungen auch der Wunsch, die »Schande« der Mischlingskinder zu beseitigen.

Nach der Machtübernahme Hitlers wurde ein eugenisches Sterilisationsgesetz als wichtiger Teil der nationalsozialistischen Ideologie bereits im Juli 1933 eingeführt (»Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«):

Im Unterschied zu früheren Entwürfen sah es auch Zwangssterilisation vor, schrieb vergleichsweise großen Bevölkerungsgruppen erbliche Minderwertigkeit zu und führte - im internationalen Vergleich ohne Beispiel - in den wenigen Jahren bis 1939 tatsächlich zur Unfruchtbarmachung von etwa 300.000 Menschen, die bis 1945 um weitere 60.000 stieg. Zum Vergleich: In den USA wurden zwischen 1907 und 1939 etwa 31.000 Menschen sterilisiert, in Schweden zwischen 1934 und 1948 etwa 12.000.

Anders als in anderen europäischen Ländern mündete diese Radikalvariante von Eugenik im NS-Deutschland schließlich auch in die durch eugenische Abwertung von »Minderwertigen« zumindest erleichterte systematische »Euthanasie« im Sinne einer Vernichtung »lebensunwerten« Lebens, die - beginnend 1939 - wiederum eine Brücke zum Holocaust an den europäischen Juden darstellt. Das exakte Verhältnis zwischen Eugenik und NS-»Euthanasie« ist allerdings wissenschaftlich umstritten. Gewisse Nachbarschaften finden sich neben Deutschland - allerdings nur auf Diskursebene, nicht als Tat - auch zwischen Eugenik- und »Euthanasie«-Anhängern in den USA in den 1930er und 1940er Jahren.

Während die Eugenik in Deutschland mit der Befreiung von den Nationalsozialisten ihr Ende fand, wurde sie in den USA noch bis ins Jahr 1974 weiter angewendet und Menschen zwangssterilisiert. Richtete sich das Programm anfangs vorrangig gegen Kranke und Behinderte, waren später vermehrt Verbrecher und schließlich vorrangig Schwarze betroffen. Im Jahr 2002 entschuldigten sich die Gouverneure der US-Bundesstaaten Virginia und Oregon bei den Opfern.

In ähnlicher Weise wurden die wesentlich aus einer »sozialistischen Eugenik«-Tradition stammenden skandinavischen Sterilisationsgesetze erst in den 1960er und 1970er Jahren abgeschafft, obschon nach 1950 deutlich weniger aus eugenischen Motiven sterilisiert wurde als zuvor.

Die Eugenik hat folglich auch eine lange sozialdemokratische Tradition, die nicht mit der nationalsozialistischen gleichgesetzt werden darf. Schon vor dem 1. Weltkrieg setzten sich sozialdemokratische Ärzte für die Vermeidung belastenden oder gesundheitlich beschädigten Nachwuchses ein. Sie propagierten zugleich Empfängnisverhütung (auch durch Sterilisation) und Abtreibungen. Beides war strafbar. Auf der Linken wurde Eugenik - z.T. auch Zwangs-Eugenik gegen »unverantwortliche Minderwertige« - daher in ein größeres, ziemlich ambivalentes Programm aus präventiver Medizin und größerer Selbstbestimmung (insb. von Frauen) eingepaßt.

Heute hat sich die vorgeburtliche Eugenik mit Hilfe der Abtreibung in vielen Ländern der Welt etabliert. In der DDR wurde schon 1950 eine eugenische Indikation für Abtreibungen eingeführt, 1972 im Zuge einer allgemeinen Fristenlösung aber wieder aufgegeben. In der Bundesrepublik Deutschland hingegen distanzierte man sich zunächst von Eugenik, bevor auch dort 1976 eine eugenische Indikation für Abtreibungen Gesetz wurde. In beiden Fällen galt eine solche eugenische Bestimmung zeitweilig als Wissenschaftlich und modern. Vor einem Jahrzehnt für verfassungswidrig erklärt, wurde die eugenische Indikation aus dem deutschen StGB gestrichen, jedoch unter der Rubrik medizinische Indikation indirekt beibehalten und praktisch sogar auf äußerst fragwürdige Weise verschärft.

Moderne Formen der Eugenik sind beispielsweise die Präimplantationsdiagnostik (PID), entwickelt in den 80er und 90er Jahren in Verbindung mit der In-Vitro-Fertilisation (IVF). Die PID ermöglicht nicht nur die Erkennung des Geschlechtes, sondern man kann durch dieses Verfahren ebenfalls Chromosomentranslokation (falsch zusammengesetzte Chromosomen) erkennen, sowie ebenfalls viele verschiedene Krankheiten, wie z.B. Trisomie 21, die Bluterkrankheit, Mukoviszidose, Chorea Huntington, zystische Fibrose und Thalassämie.

Die PID hat Vorteile aber auch Nachteile, über die man sich kritisch auseinandersetzen muß.

Die Kritiker der PID sind der Ansicht, dass auch durch die PID eine Behindertenproblematik auftreten könnte, da durch die PID kaum noch behinderte Kinder geboren würden. Dies würde dazu führen, dass die Anzahl sozialer Einrichtungen für behinderte Kinder stark reduziert werden würde und es somit für nicht PID-Kinder, die behindert geboren würden, es sehr schwer wäre, eine geeignete Einrichtung zu finden. Ebenfalls würde das Ansehen der Eltern behinderter Kinder und der Kinder selbst unheimlich leiden und dies hätte zur Folge, dass die staatlichen Hilfen kaum oder vielleicht garnicht mehr vorhanden wären. Das würde wiederum dazu führen, dass diese und andere Eltern durch den gesellschaftlichen Druck zur PID gezwungen würden. In der Gesellschaft würde sich das Gefühl noch mehr verfestigen, dass behindertes Leben lebensunwert ist.

Die Befürworter sind dagegen der Ansicht, dass unabhängig von moderner, vorgeburtlicher Eugenik und PID alle Lebensphasen, damit auch Geburt und frühe Kindheit, niemals frei von Krankheit und Unfällen und den dadurch ausgelösten mehr oder minder schweren Folgeschäden bis hin zu bleibenden Behinderungen sein werden, unabhängig davon, wie sehr wir uns alle das wünschen mögen. Das würde bedeuten, dass es auch immer Kinder wie Erwachsene mit Behinderungen gäbe, die unserer Toleranz, Anerkennung, Pflege und Zuwendung bedüften, selbst wenn durch konsequente Anwendung beider medizinischer Möglichkeiten in der Gesamtbevölkerung nur noch genetisch gesunde Kinder geboren würden. So steigere sich z.B. von Jahr zu Jahr in vielen Länder der Welt auch die Zahl der aidskranken Kinder (und Erwachsenen), die eine intensive medizinische und menschliche Pflege brauchen. Es wäre sehr wohl denkbar, dass wir eines Tages schon mit der Grundversorgung und der Kranken- bzw. Altenpflege aller geborenen Menschen überfordert sein werden, wenn wir es vielleicht nicht schon heute in Wirklichkeit sind. Sollte es einmal in ferner Zukunft, wenn überhaupt, durch die PID und vorgeburtliche Eugenik möglich werden, dass nur noch genetisch gesunde Kinder geboren würden, könnte das jedoch uns allen einen Stein von der Schulter nehmen, einen einzigen von noch vielen anderen. Außerdem ließe sich nach Ansicht der Befürworter weltweit ein Grundbedürfnis werdender Eltern feststellen, ein gesundes Kind zu bekommen. Dieses Grundbedürfnis bedeute ja auch ein wesentliches Fundament für den Schutz von zukünftiger Mutter und werdendem Kind».

 

So viel steht in der Internetenzyklopädie wikipedia zum Thema der Eugenik.

Wie auch immer man sich zu den in diesem Artikel geäusserten Inhalten stellt, es fällt mir auf, dass bei der Lektüre von Wörtern wie »genetisch gesund« ich zusammenzucke und mich frage, wer denn da das zu entscheiden in der Lage ist. Vielleicht lässt sich ein Wort wie Gesundheit im Kontext von genetischer Information nicht mehr wirklich sinnvoll anwenden. Die Idee Menschen »züchten« zu wollen, halte ich für pervers und bin dennoch dafür, dass die Frauen allein über eine Abtreibung in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft entscheiden können; im Wissen darum, dass eine Abtreibung sehr wohl aus einer eugenischen Überlegung heraus vorgenommen werden könnte, erachte ich die Freiheit der Entscheidung, die bei der Frau, die schwagner ist, als wichtiger.

Am Ende seines Buches (Vgl. Wolfisberg 2002, S. 330 ff.) fasst Wolfisberg seine Findings zusammen und schreibt, dass das Verhältnis zwischen der Zürcher Heilpädagogik und Eugenik vor allem durch gemeinesme Interessen geprägt gewesen sei. Der Diskurs der Eugenik hat in die Heilpädagogik mit ihrer zunehmenden Professionalisierung Eingang gefunden.

Eugenische Prämissen und Ziele sind in den dreissiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in die Ziele der heilpädaogischen Ausbildung und Praxis übernommen worden. Die Heilpädagogik hatte zu jener Zeit das Konzept der untüchtigen Lebensgestalter entwickelt, die aus der gleichsinnig ungünstigen Wirkung von Umwelt und Anlage abgeleitet wurde. Dieses Konzept wurde mit dem erbbiologischen Vererbungsdiskurs verschränkt und lieferte so die Rechtfertiung für die Forderung danach, dass Menschen, die man mit dem Ettikett »Geistesschwäche« oder »Schwererziehbar« versehen hatte, an der Fortpflanzung gehindert wurden, indem man sie sterilisierte.

Eine Praxis übrigens, an welcher in der Schweiz weit über jenen Zeitraum hinaus  – Wolfisbergs Studie endet um 1950 – praktiziert wurde, als die Studie untersucht.

Wolfisberg verweist darauf, dass Hanselmann immer wieder betont habe, dass der individuelle Leistungsanspruch an die Gesellschaft  mit einer individuellen Leistungspflicht an diese einhergehe.

Damit übernimmt Hanselmann – es ist mir nicht bekannt, ob er Georg Simmel gekannt hat – auf jeden Fall implizit das Konstrukt der Armutstheorie von Georg Simmel, allerdings in einer verkürzten Art und Weise, indem die Implikation dessen, was bei Hanselmann als »nachgehende Fürsorge« konstruiert wird, nicht der kritischen Analyse unterzogen wird.

Die Definitionsmacht des heilpädagogisch-fürsorgerischen Diskurses wird nicht in Frage gestellt, wenn argumentiert wird, dass die Gesellschaft gegen den gefährlichen Schwachsinn geschützt werden muss.

Man fragt sich aus heutiger Sicht eher, bei wem hier der Schwachsinn gelegen hat und fragt sich auch, was denn damals hätte gewusst werden können, insbesondere, als nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland, deren eugenische Politik auch bekannt wurde.

Wolfisberg Buch, das reich an Material ist, leidet an einer starken theoretischen Schwäche. Der Autor reflektiert in seinen Thesen nicht, dass »die Gesellschaft« von Grund auf keinen Sprecher haben kann, sondern, dass es immer InteressenvertreterInnen sind, die aus der Froschperspektive ihrer Partialinteressen für das Ganze zu sprechen beanspruchen, was anders gesagt nichts anderes ist als ein Machtdiskurs, der im Kontext von Behinderung allerdings impliziert, dass die einen alles, die anderen nichts zu sagen haben.

Aus diesem Grund heraus vermag er auch nicht überzeugend die Schwäche der idealistischen Pädagogik gegenüber den eugenischen Tendenzen zu kritisieren. Was auf dem Hintergrund solcher Schwäche bleibt ist, wie immer – und auch heute wieder aktuell – die Ausflüchte in die ethisch-moralischen Diskurse. Die Frage nach dem politischen Machtkampf wird nicht aufgeworfen, die Argumentation bleibt hilflos angesichts einer mit der Definitionsmacht biologischen Wissens antretenden Herrschaftslogik, die in rassistischen Hintegrdünden ihre letzten Orientierungen findet.

Interessant sind Wolifsbergs Beobachtungen, dass auch die sogenannt katholische Heilpädagogik den in Zürich entwickelten Positionen nichts Wesentliches entgegen zu stellen hatte. Zwar wurden auf dem Hintergrund der katholischen Moraltheologie die sogenannt »negativen« eugenischen Massnahmen (Kastration und Sterilisation) abgelehnt, eine eigentliche und vertiefte Auseinandersetzung mit der zürcherischen heilpädagogischen Position wurde aber vermieden und deren Konzept der »nachgehenden Fürsorge« unterlasen.

Ich mag den Terminus »nachgehende Fürsorge« nicht, er erinnert mich an eine Konzept der us-amerikanischen Kriegsführung im Vietnamkrieg, wo unter dem Logo »search and destroy« so genannte Feinde aufgespürt und zerstört wurden, die sich allzu oft als Bauerndörfer entpuppten. Mag sein, dass hier meine Wahrnehmung in eine bestimmte Richtung etwas geschärft erscheint, aber so ist nun mal mein Gefühl gegenüber diesem Begriff.

Die Einbettung der zürcherischen Heilpädagogik erfolgte in ein eigentliches Netzwerk, welches in den dreissiger udn vierziger Jahren eugenische Programme vorangetrieben hat (Propaganda, die «Abnormalenstatistik» – man muss sichtbar machen was stört! –, Forschung etc.).

In diesem Netzwerk entstand auch eine gewisse Kritik an der eugenischen Politik der Nationalsozialisten, die allerdings eher von der Art war, wie sie in der Schweiz oft zu hören war (und es teilweise immer noch ist), dass man alles auch übertreiben könne, dass aber im Kern nicht alles falsch gewesen sei.

Dieser biedere Rassismus schweizerischer Art mäandrierte ungestraft während Jahrzehnten durch die Gelehrtenstuben und schlimmer noch durch die Köpfe der so genannten Gelehrten, die sich um dieses Fach bemüht haben. Eine fundierte Kritik beginnt erst in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf dem Hintergrund der durch die sich in Bremen etabliernde marxistische und kritische Sonderpädagogik von Feuser und Jantzen.

Eine fürchterliche Geschichte, die Wolfisberg da erzählt, fürchertlich auch, weil sie neben anderem schweizerischen Biedersinn dokumentiert.

Wolfisberg ist eindeutig in der Zweideutigkeit seines Satzes:

»Erst nach 1939, besonders aber nach 1941/42 richtete sich diese Kritik zum Teil auch gegen die schweizerische Eugenik und führte zu einem differenzierteren Umgang mit diesem Thema, wobei der biologische Vererbungsdiskurs wie auch die Bedeutung der Vorsorge weiterhin wichtige heilpädagogische Themen bleiben« (Wolfisberg, 2002, S. 335).

Nach dem Krieg wird man mit einer gewissen Ruhe und Gemütlichkeit zum die behinderten Menschen diskreditierenden courrant normal des Diskurses übergehen und die schrillen eugenischen Zwischentöne mässigen, ohne sich allerdings kritisch mit den Hintergründen dieses im Kleide der Wissenschaft sich tarnenden Wahnsinn auseinanderzusetzen, um ihm so eine Grundlage zu lassen, für seine ständige Widerkehr.

 

 

Literatur:

Wolfisberg, C. (2002). Heilpädagogik und Eugenik. Zur Geschichte der Heilpädagogik in der deutschsprachigen Schweiz (1800 - 1950). Zürich, Chronos.