Seite 13: «Starker Anstieg der Zahl psychisch Invalider»; der dazugehörige Lead lautet: «Fast 100 000 Schwizer beziehen eine IV-Rente aus psychischen Gründen, das sind 7,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der psychisch erkrankten Invaliden wächst dreimal so schnell wie diejenige der übrigen IV-Renter.»
Seite 19: «Jeder Zehnte ist arbeitslos oder invalid - das ist zuviel»
«Es muss sich einiges änderen, damit es bleibt, wie es ist. Wie schlecht steht es um den Fabrikationsstandort Schweiz? Werden wir ein volk von Arbeitsloesen? Nicht, wenn wir etwas dagegen unternehmen, schreibt Rolf Schaumann»
Seite 25: «Zur Strafe in die Schule. Der spanische Jugendrichter Emilio Catayud bestraft jugendliche Gesetztesbrecher mit erzieherischen Massnahmen. Sein erfolgreiches Modell könnte ab 2006 auch in der Schweiz zur Anwendung gelangen. Dann wird das neue Jugendstrafgesetz eingeführt»
Seite 41:«Geplagte Doppelverdiener. Oft lohnt es sich finanziell nicht, wenn Väter und Mütter die Erwerbstätigkeit aufteilen»
Seite 46: «Der gefährliche Sprachfilter der Schule. Der Schweizer Arbeitsmarkt ist ein Schmelztiegel erster Güte: Er nimmt mehr Ausländer auf als jedes andere Land Europas. Doch die Schule gefährdet diese Leistung»
Kurz und gut, die Zeitung für die Orientierung am Wochenende hat es wieder einmal treffend allen gesagt:
der Invalidenversicherung, den psychisch Kranken, den Arbeitslosen, den «Doppelverdienern», was immer auch diese eigenartige Wortschöpfung im Kern zu meinen glaubt, und der Schule, ihr selbstverständlich, als Abfallkübel der ungelösten sozialen Probleme der Nation.
Wie sind alle diese Aspekte mit «Behinderung und Gesellschaft» denn überhaupt verhängt? Sie sind es eben mehr als wir im Moment glauben, wenn wir beim Sonntagsmorgenkaffe die Zeitung durchblättern und wieder einmal erfahren, wie schlimm es um den Stand unserer Nation denn nun bestimmt ist.
Wir wissen selbstverständlich, dass eine am Wochenende Zeitung immer brüllen muss, sie muss immer das Ungewohnte in den Vordergrund stellen, damit sie interessant wirkt, sonst kauft das niemand. Und am Sonntagmorgen hat man Zeit für die wöchentliche Viertelstunde Schockierendes, parallel dazu läuft am Schweizer Fernsehen immer die Sternstunde Philosophie.
Beginnen wir am Anfang, mit der Frontseite.
Der Artikel befindet sich unten rechts, wo man also hinschaut, wenn man umblättert, und da fällt einem ein Zitat von Andreas Dummermuth, dem Präsidenten der Schweizerischen IV-Stellenleiterkonferenz und Leiter der IV-Stelle Nidwalden, ins Auge:
«Für den Beginn der Arbeitsunfähigkeit ist niemand verantwortlich, bei psychischen Fällen schauen alle weg».
Die Formulierung im ersten Teil des Zitates ist unbeholfen, was auf die relativ wörtliche Übersetzung aus dem Dialekt zurückzuführen sein mag, aber verwendete die Metapher des Wegschauens erinnert ein wenig an das Problem, das man einst mit Menschen hatte, von denen man sagte, sie hätten den bösen Blick. Hier schaunt man weg, um sich nicht zu kontaminieren.
Die «NZZ am Sonntag» zitiert aus einer Studie des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV).
Der Alarmismus vermeldet diesen starken Anstieg von 88 686 RentnerInnen im Jahre 2300 auf 95490 im Januar 2004. Dies entspricht einem Ansteig von 7.7 % im gleichen Zeitraum sind die Anzahl der übrigen IV-Renten im Durchrschnitt nitt nur um 2.3 % angestiegen.
Der Alarmismus der Zahlen wird weiter getrieben:
Selbst wenn man einen abgeschwächten Wachstumstrend feststelle, hält die Zeitung fest, «dürften heute in der Schweiz schon über 100 000 Menschen aus psychischen Gründen eine Invalidenrente beziehen. Zum Vergleich, rund 150 000 Menschen sind hierzulande (saisonbereinigt) bei den Arbeitsämtern als arbeitslos gemeldet. Nahezu 10 % der erwerbsfähigen Bevölkerung sind in der Schweiz also aus dem Arbeitsmarkt gefallen – und beziehen IV-Renten (5.4 %) oder Arbeitslosengeld (4.1 %)».
Hinzu kommt ärgerlicher Weise, dass diese aus psychischen Gründen invalid geschriebenen RetnerInnen extrem teuer für die IV sind, da vier von fünf einen Invaliditätsgrad von über 80 % aufweisen.
Was noch ärgerlicher ist:
«Eine genaue Beschreibung des Krankheitsbildes ist schwierig: «Am häufigsten sehen wir summarische Codierungen», sagt der Statistiker im BSV. Obenaus schwingt die Gruppe «psychogene oder milieureaktive Störungen, Neurosen, Borderline-Syndrom, depresse und psychosomatische Störungen».
Und schliesslich etwas, was der SVP gewiss gar nicht gefallen wird:
«Bei den Renten, die wegen einer Krankheit gesprochen werden, sind bei den Schweizern 47.7 % aller IV-Renten psychisch bedingt, bei den Ausländern aber bloss 34,8 %».
Was mag wohl die Bedeutung dieser Differenz von 10 % ausmachen? Es handelt sich immerhin um eine Zahl, welcher der Einwohnerzahl einer mittelgrossen Schweizer Gemeinde entspricht.
Am wahrscheinlichsten ist, dass sie sie rein gar nichts bedeutet, aber gewiss können nun die einen darüber spekulieren, dass die Ausländer, genetisch oder kulturell robuster sind, näher bei den landwirtschaftlichen Quellen gewisermassen und deshalb auch seelisch stabiler, während die anderen sicher daraufhin verweisen werden, dass bei den Ausländern die Unterschicht übervertreten ist und wie man weiss, geht diese nicht gerne zum Psychiater, weil sie ja nicht spinnt, sondern verlang vom Doktor «pills and needles», was nicht heisst, Bonbons und Schlagrahm, sondern Tabletten und Spritzen.
Warum gibt es immer mehr Invalide aus psychischen Gründen? Hier ist die Antwort des Präsidenten der schweizerischen IV-Stellenkonferenz sehr aufschlussreich:
«Der Arbeitsmarkt für niedrig Qualifizierte ist sehr viel härter geworden, und gleichzeitig hat sich der Gesundheitsbegriff gewandelt».
Zu unserem Ärger finden wir auch hier schon wieder keine klare Antwort, sondern wieder nur sind es Bündel von Argumenten, die Schuld sein sollen.
Im Artikel wird darauf hingewiesen, dass die heutige Arbeitswelt durch Umstrukturierunge, Rationalisierungen und Flexibilisierungen gekennzeichnet wird, in deren Zuge die Arbeitgeber überzählig gewordene Arbeitskräfte in die IV abschieben, da angenommen wird, dies sei für alle Betroffenen der vermeintlich einfachste Weg.
«Das findet sicher statt», bestätigt Alard du Bois-Reymond, Chef der Invalidenversicherung im BSV, «umgekehrt gibt es aber auch viele Arbeitgeber, die helfen wollen, aber nicht wissen, an wen sie sich wendenkönnen».
Falls der IV-Chef mit seiner Vermutung, welche die Arbeitgeber in Schutz nimmt recht hat, dann müsste er sich eigentlich die Frage gefallen lassen, wie es möglich ist, dass die Arbeitgeber durch die IV nicht in genügendem Ausmass über die Möglichkeiten informiert worden sind, denn das wäre ja dann einer der wichtigsten Quellen, um hohe Invalidisierungsraten zu verhindern.
Dann wäre also einer der Gründe in der institutionellen Trägheit der IV zu suchen, die nicht in der Lage gewesen wäre, sich auf sich verändernde gesellschaftliche Randbedingunen und deren Auswirkungen auf Invalidisierungsprozess frühzeitig einzustellen. Hoffen wir für ihn, dass er sich wenigstens teilweis getäuscht hat. Sonst würde seine Aussage all jenen Auftrieb geben, die eines der grossen Probleme der IV weniger in der Qualität ihrer MitarbeiterInnen als ihrer Führung zu verorten meinen.
Ein wenig anders wiederum sieht es der Psychiatrieprofessor, welcher den sozialen Umbruch diagnostiziert, der sich zur härter werdenden Arbeitswelt gesellt.
«Die vermehrte Individualisierung führt heute dazu, dass sich Betroffene auch für die sozial verursachten Probleme verantwortlich fühlen und deshalb versuchen, sich über ein medizinisches Krankheitsmodell zu entlasten» erklärte Daniel Hell, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, im Oktober in der NZZ.
«Die Menschen sind für die heute steigenden Anforderung schlechter ausgerüstet» klagt Peter Hasler, Direktor des Arbeitgeberverbandes, «die psychische Leistungsfähigkeit sinkt».
Schliesslich noch folgt noch das alt bekannt Bild des Systems der kommunizierenden Röhren, welche das System der Sozialversicherungen ausmacht, die viel zu späte Erfassung bei der IV nach dem Auftreten der Arbeitsunfähigkeit.
Niemand stellt in Frage, dass das Problem bei den Menschen liegt, die psychisch erkranken. Sie sind gewissermassen schuld daran, dass sie nicht mitkommen in einer Wirtschaft, die sie weit hinter ihren Möglichkeiten zurücklässt. Niemand fragt danach, weshalb hierzulande so gewirtschaftet wird, niemand fragt nach der Privatisierung der Profite, nach dem ständigen Senken der Steuern für die Reichen, welchse die notorische Staatskassenlehre und die wachsenden Schulden erzeugt.
Der Alarmismus ist der Rauch der erzeugt wird und wo Rauch ist auch Feuer. Und es wird Feuer gelegt and die soziale Sicherheit, sie ist in Gefahr. Was hier abgeht, ist eine Kampagne zur Entsolidarisierung.
Man sagt, dass mit einer früheren Erfassung dem Problem besser beizukommen sei.
Ehrlich gesagt glaube ich so etwas keineswegs. Aus meiner Sicht scheint das eher verkürztes Denken zu sein. Für mich bildet die verdrängte Verzweiflung über die Behinderung als Bruch der kulturellen Normalität einen wichtigen Hintergrund für die notorische Kurzsichtigkeit auf die Thematik. Das Problem des Trauerns scheint nicht lösbar. Wer krank ist, der hofft auf Gesundung. Das erklärt zu einem schönen Teil die lange Dauer bis die IV auch eingreifen kann.
Das Hauptproblem ist die Trauer darüber, dass etwas nicht geht, von dem man meint, dass es gehen muss. Sehr eindrücklich ist es etwa in dieser Hinsicht auf der Homepage von Edith Hunkeler (www.edith.ch), der wohl erfolgreichsten Rollstuhlsportlerin der letzten Jahre, nachzulesen, wo sie vom Dunkel spricht. Sie erwähnt diese kurze Episode in ihrem Leben nur kurz auf ihrer Homepage, gerade um ihrer Kürze wegen, ist sie eine Signatur für die Tiefe des Bruchs.
Deshalb tönt es selbstsam hilflos, im Artikel der NZZ am Sonntag zu lesen: «Wichtig ist eine frühe und rechtzeitige Intervention – am besten, wenn die Person noch am Arbeitsplatz ist».
So wird der Chef der Invalidenversicherung, Allard du Bois-Reymond, zitiert, da meistens nichts passiert, denn so sagt er: «Die Arbeitgeber stehen den psychischen Schwierigkeiten ihrer Mitarbeiter hilflos gegenüber».
Frühe Interventionen können auch stigmatisieren, indem die Menschen, die Hilfe benötigen sozial sichtbar werden, werben sie auch leichter ausgrenzbar.
Ein Narr ist, wer meint, hier gehe es nur um uneigennütziges humanitäres Engagment der politischen und wirtschaftlichen Akteure. Diese Bemerkung ist andererseits kein Argument dafür, dass alles beim alten bleiben muss.
Es gehört zu den Zielen der fünften IV-Revision, die Instrumente der Früherkennung zu verbesern.
«Der finanzielle Aufwand ist bei präventiven Interventionen viel geringer: In Projekten haben wir eine Erfolgsquote von etwa 75 % erreicht, die sich im Arbeitsmarkt halten können. Bei nachträglichen Interventionen sinkt die Erfolgsquote auf 30 %», so die Erfahrungen der IV laut ihrem Chef.
Auch Herr Hasler vom Arbeitgeberverband verlangt eine Verstärkung der Integrationsmassnahmen, und zwar mit Hilfe eines Taggeldsystems analog zur Arbeitslosenversicherung. Zitat Peter Hasler: «Wir müssen von den Leuten Mitwirkung bei der Wiedereingliederung verlangen – und ihnen andernfalls die Taggelder entziehen». Herr Dummermuth von der IV verlangt, dass auch die Arbeitgeber etwas tun: «Sie müssen den Betroffenen Chancen für Anstellungen bieten».
Dieser Diskurs ist in sich sehr interessant. Zunächst wird nach dere Meinung des Psychiatrieprofessors klar, dass eine bestimmte Zahl von Menschen mit den Veränderungen der Gesellschaft (Individualisierung) und den Veränderungen der Wirtschaft (Umstrukturierungen) nicht gut umgehen kann und mit psychischen Schwierigkeiten reagiert, die zur Behinderung und Invaildität führen.
Die Logik der Sozialversicherung besteht darin, das, was bereits nicht so gut funktioniert, nochmals zu tun, es ist die Logik des Verlierers, es hat nicht funktioniert, versuchen wir es nochmals. Es erinnert an den Witz des Betrunkenen der unter der Strassenlampe etwas sucht. Man fragt ihn, was er denn suche, er sagt den Autoschlüssel. Wo er ihn den verloren habe? Dort hinten, sagt der Mann. Weshalb suche er denn jetzt hier? Weil es hier Licht hat, sagt der Betrunkene.
sol lucet omnia – die Sonne scheint allen, allerdings vorderhand nicht «ohn` Unterbruch».
Also geht es los auf die Prävention.
Sie wird in einer sogenannten Früherkennung enden, das bedeutet einen massiven Ausbaue der bürokratischen Kontrolle über die Menschen, weil die Leute nun wegen jedes Blödsinns erfasst werden können, schliesslich kann, wie man weiss, auch die banalste Infektion, zu verherenden gesundheitlichen Folgen und Arbeitsunfähigkeit führen.
Manist daran, einfach eine Grenze zu verschieben, an welcher wieder angestrengt nach «klaren» und «sauberen Schnitten» gesucht werden wird, obwohl selbstverständlich kaum zu erwarten ist, dass man dort fündig werden könnte, also wird man angestrengter weitersuchen.
Die Arbeitgeberseite weiss auch schon, dass die individualisierenden Motivationsanreize wichtig sind, wer sich nicht anständig bemühen wird, dem werden die Bezüge gestrichen. Die IV meint, man müsste dann doch auch seitens der Arbeitgeber den Behinderten Anstellungschancen geben.
Unter den Bedingungen, dass Unternehmen, Gewinne erzielen müssen, ist nun der Boden dafür bereitet, dass man dieses Chancengewähren diskontieren kann, und damit zu einer verkaufbaren Dienstleistung entwickeln kann, was bisher usus in der Wirtschaft gewesen ist. Hier liessen sich gewiss win-win-Situtationen» imaginieren. Die Folge davon: ein weiterer Schritt der Individualisierung sozialer Probleme, die Folge davon, weitere psychische Probleme.
An diesem ganzen Diskurs ist allerdings weiter das interessant, das hier überhaupt nicht mehr erwähnt wird.
Früher.
Im letzten Jahrtausend, nannte man es «Klassenkampf» oder auch «kollektive Anomie».
Die soziale Dimension der Artikualtion sozialer Spannungen erscheint in den laufenden Diskursen nur noch im Horizont des individuellen Diskurses möglich. Deshalb vielleicht tauchen auch massenhaft «spinnerte» Menschen auf.
Im Zeitalter der politischen Korrektheit ist es strafrechtlich nicht mehr erlaubt, öffentlich die Juden zu hassen, über fremde Religionen zu lässtern, sich frauenfeindlich zu gebärden usw. Die männlichen Mobilitätsverlierer, die sich früher in diesem Dunstkreis bewegen konnten, haben es schwer, ihre Frustrationen zu kollektivieren, solche Dispositive scheinen tendenziell zurück gegangen zu sein.
Ein Stück weit deckt die fremdenfeindliche Politik der SVP solche Bedürfnisse noch ab. Die Kollektivierung der Anomie in der Tradition der klassischen Linken ist allerdings längst passé. Der Sozialismus ist zu einer ollen Klamotte verkommen.
Das ökonomische Gewissen der schweizerischen Sozialdemokratie wird zur Zeit gehütet von Jean Nöel Rey, dem Privatisierung der Postbetriebe, einem Technokraten, und Susanne Leutenegger-Oberholzer, einer Ökonomin, die ihre politische Sozialisation in der POCH, einer längst vergangenen, sich am sowjetischen Kommunismus orientierenden, ökonomistischen und bürokratischen Organisation, erlebt hat, genauso wie Basler Ständerätin Anita Fetz.
Kurz gesagt, besteht links ein Mangel an Phantasie, rechts besteht ein juristisches Problem.
Dass strukturelle Spannungen zu anomischen Spannungen führen, ist eine soziologische Banalität. Vielleicht ist es aber hier notwendig, nochmals kurz auf das soziologische Konzept der Anomie einzugehen. Unter Anomie versteht die Soziologie einen gesellschaftlichen Zustand, bei welchem die individuellen Akteure in einer Gesellschaft das Verhältnis zwischen den in der Gesellschaft als legitim erachteten Zielen und den in der Gesellschaft als legitim erachteten Mitteln zur Erreichung dieser Ziele ein Ungleichgewicht besteht. Anders gesagt, dieses soziologische Konzept geht davon aus, dass die Gesellschaft sich in einer Art und Weise schneller verändert, als die kognitive und emotionale Verarbeitung des Wandels durch die bestehenden Bilder dieser Gesellschaft es jeweils zulässt. Es spielt das eine Rolle, was Gustav Regler in seinem Roman «Die Saat» einmal die «Trägheit der Herzen» genannt hat. Denkstile können ihre orientierenden Funktionen für die Gesellschaftsmitglieder nur wahrnehmen, wenn sie in einem dafür günstigen Sinne träge sind, d.h. wenn sie weder zu träge noch zu elastisch sind.
Was hat das nun mit der Zunahme der Menschen mit einer psychischen Behinderung zu tun? Mit dieser Bemerkung ist dieser Zusammenhang noch nicht erklärt und ich kann das auch nicht tun; es ist mir beim Nachdenken über die Zeitungslektüre nur in den Sinn gekommen, dass möglicherweise, die Zunahme dieses einen Verhaltens auch zu tun haben könnte, mit der Abwesenheit eines anderen Verhaltens.
Täuschen wir uns nicht: es gibt einen Rand des Normalen, der eine vielfältige Gestalt zeigt, eine davon ist die Behinderung.
Doch gehen wir weiter in der Diskussion der aufgefallenen Zeitungsartikel an diesem Sonntagmorgen. Der Kaffee ist längst ausgetrunken, aber noch wird ausgeschlafen und ich habe Zeit zum Schreiben.
Auf Seite 19 der NZZ am Sonntag steht in der Rubrik «Meinungen» der Kommentar von «dah» mit dem Titel: «Jeder Zehnte ist arbeitslos oder invalid - das ist zu viel».
Zunächst einmal ist vermutlich im Sinne der politischen Korrektheit der Satz so zu verstehen, dass die männliche Form generisch gemeint ist, gewissermassen von Mann im Sinne von Mensch, als eingedeutscher Anglizismus gewissermassen.
Bundersat Blocher wird krititisert und dann begründet, wie die Politik auszusehen hat:
«Bundesrat Blocher hat das Wort «Scheininvalide» geprägt und vorgeschlagen, alle für diesen Zustand verantwortlichen zu kriminalisieren. Doch dies ist eine Scheinlösung, die das Problem nicht löst.»
Da hat er sien Fett weg, er präsentiert nur Scheinlösungen. Der Kommentar geht aber weiter: «Wenn jemand wegen einer Depression nicht mehr arbeiten kann, die Stelle verliert und schliesslich in die Psychatrie abdriftet, hat er ein Problem»
Etwas irritiert lese ist diesen Satz nochmals. Da driftet jemand ab, ein latenter Vorwurf der Haltlosigkeit, den man immer wieder als soziales Vorurteil gerade den psychisch erkrankten Menschen gegenüber trifft.
Der Kommentar suggeriert, dass die Person, die psychisch erkrankt, depressiv wird, ein Problem hat.
Es ist interessant zu sehen, dass das Problem als ein Problem der erkrankten Person dargestellt wird.
Weiter oben im Artikel auf Seite 13 haben wir den Psychiater gehört, der das etwas anders gesehen hat, seine differenzierte Wahrnehmung ist im Prozess der meinungsbildenden Kommentierung verschwunden.
Nun kann wieder Klartext gesprochen werden, denn weiter oben hat man ja die differenzierende Information geliefert.
Wer depressiv ist und in die Psychiatrie abdriftet, der hat ein Problem, ich nehme wie immer an, dass Frauen als Männer-Menschen irgendwie mitgemeint sind. Hier wird eine Nulllinie gezogen, von der aus im weiteren Verlauf des Kommentars dann argumentierend weitergedacht werden kann. Und das geht folgendermassen:
«Krankenkassen, Sozialversicherungen, Ärzte und Arbeitgeber haben bisher nicht genügende unternommen, um diese Leute wieder für den Arbeitsmarkt zu mobilisieren».
Wieder eine Irritation bei der Lektüre dieses Satzes, dieses Mal beim Verb «mobilisieren».
Ich kenne es aus zwei Domänen, zum einen aus dem Bereich der Pflege, da ich an einer Schule für Pflegeberufe unterrichte. Das Mobilisieren von bettlägerigen PflegeempfängerInnen ist eine wichtige Massnahmen in ihrem Genesungsprozess und sollte so früh und so umfangreich wie möglich erfolgen, damit die eigenen Ressourcen dieser Menschen erhalten bleiben, was eben ihrer Gesundheit zuträglich ist.
Die zweite Konnotation ist die aus dem Jargon der Armee, die Soldaten «mobilisiert», «Generalmobilmachung» klingt mir noch aus den Erzählungen meines Vaters vom September 1939 in den Ohren. Es geht also um Krieg, gegen wen, für wen, frage ich mich? Die Antwort folgt im nächsten Satz des Kommentars:
«Der Ökonom Richard Layard hat in einem Pilotprojekt festgestellt, dass man rund 50 Prozent der Betroffenen mit geeigneten Therapien und Arbeitsangeboten wieder im Arbeitsmarkt integrieren kann. Deshalb ist ein ähnliches Instrumentarium wie bei der Arbeitslosenversicherung angezeigt: eine Mischung aus einem Unterstützungsangebot und dem Zwang, sich aktiv um die Integration in die Arbeitswelt zu bemühen. Die fünfte IV-Revision geht mit der frühzeitigen Intervention am Arbeitsplatz in die richtige Richtung, reicht aber nocht nicht aus».
Nun kommt der neoliberale Diskurs, der auf das Ökonomische abhebt, dieses Mal personifiert in der Gestalt des Ökonomen, der das richtige Pilotprojekt durchführt. Seine Massnahmen, von denen man, wie bei so vielen anderen sagen kann, dass sie manchmal wirken und manchmal nicht wirken und selbstverständlich weiss nie einer, was genau weshalb hier gewirkt hat und was nicht. Etwas anderes war ja auch nicht wirklich zu erwarten.
Aber nachdem festgestellt ist, dass ein Instrument, das zur Hälfte nicht funktioniert politisch korrekt ist, wird die Mischung von Unterstützung und Zwang, volkstümlich von Zuckerbrot und Peitsche hervorgeholt, unter dem Siegel der Selbstverantwortung versteht sich.
Der ganze Diskurs lässt sich etwas grobschlächtig darin zusammenfassen, dass man den faulen Eiern bei den psychisch Behinderten etwas Feuer unter dem Arsch machen muss, dann hat man bei jedem zweiten Erfolg, der Rest, das sind dann offenbar jene, denen es wirklich schlecht geht.
Eine schreckliche Logik, die hinter diesem Denken steht, eine Logik die nur geprägt ist, von Defiziten einer Sozialversicherung, die so organisiert worden ist, dass sie defizitär werden muss, wenn die Gesellschaft sich verändert.
Denn dass die Gesellschaft sich verändert, darüber kann kein Zweifel bestehen, wenn wir in der Lektüre der NZZ am Sonntag vom 20. Februar 2005 weitergehen. Auf der gleichen Seite spricht der Verwaltungsratspräsident der ABB Schweiz AG, Rolf Schaumann. Er vertritt eine Firma, deren Geschichte exemplarisch zeigt, wie Manager ein gut funktionierendes Unternehmen zuschanden machen, weil sie ihrem Denkstil verhaftet, Veränderungen in der Gesellschaft, in der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft nicht frühzeitig genug wahrgenommen haben, sondern auf ihre Fettsteissen hockend, dummes Zeug geredet haben. Ich spreche von der Agonie der ehemaligen BBC, die dann in letzter Sekunde mit ABB fusioniert wurde, um nicht vollständig unter die Räder zu kommen. BBC ist wahrlich kein Ruhmesblatt schweizerischer Managerkunst.
Aber das ist Geschichte, der heutige Mann hat jedenfalls seine Wurzeln in jener Schandgeschichte. Und er legt auch gleich los und zeigt, dass auf der Oberfläche die Situation der Schweiz sich gut präsentiert, hochqualifizierte Arbeitskräfte gibt es im Land, gute Sozialpartnerschaft, sehr gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur. Hinsichtlich Lebensqualität liegt die Schweiz in Europa sehr weit vorne. Die Schweiz weist zwar ein geringes Wachstum auf, hat aber eine der höchsten Produktivitäten in Europa.
Wie alles hat auch dieses schöne Bild eine Kehrseite, die wird uns gleich vom Verwaltungsratspräsidenten geschildert: er will noch nicht einmal vom Problem des «Kostenhandicaps» sprechen. Handicap, was für ein Wort, es hat viele Bedeutungen.
Einige davon sind: die Behinderung, die Gebresten (schweiz.,), das handikap, das Hindernis, der Nachteil, der Rückstand (beim Golf) die Vorgabe.
Soweit das semantische Feld dieses neudeutschen Wortes.
Die Schweiz hat also ein «Kostenhandicap» im Vergleich zu den Niedriglohnländern, aber, so Rolf Schaumann, darauf will er jetzt noch gar nicht hinaus.
Er bedauert die Abwanderung der «Gehirne» nach den USA und die Abwanderung der Produktion nach China. Die Schweiz verliere an Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit, vor allem weil die Schweiz auch im Vergleich zu Schweden und Finnland im Hinblick auf ihre Innovativität an Boden verliere. Das duale Ausbildungssystem verschaffe der Schweiz sogar einen europäischen Spitzenplatz, allerdings laufe man Gefahr in der an sich sachlich richtigen Bologna-Reform der Hochschulen deren Qualität zu schädigen. Sieh einer an, da dachte man doch immer die Bologna-Reform der Hochschulendiene der Qualitätssteigerung eben dieser Hochschulen. Hat der Mann etwas falsch verstanden oder vielleicht habe auch ich das alles nicht richtig verstanden.
Was also tun, um Gegensteuer zu geben geben die schlechte Entwicklung?
Zunächst, so meint Rofl Schumann, sei es wichtig, dass wir uns von der Vorstellung verabschiedeten, dass wir immer weniger arbeiten müssten, und höhere Sozialleistungen erhalten könnten und erst noch in höherem Wohlstand leben könnten.
«Eine einfache Möglichkeit, um Arbeitsplätze zu erhalten, ist die Produktivitätssteigerung durch Volumenzuwachs. Da die Schweiz ein sehr kleiner Markt ist, wir die Volumensteigerung vor allem im Export stattfinden. Die bilateralen Verträge sind für die Schweizer Wirtschaft deshalb enorm wichtig, denn mit deren Annahme wird Europa zum Heimmarkt werden».
Botschaft ist klar: wir müssen mehr tun als bisher und wir müssen die bilateralen Verträge annehmen in der kommenden Volksabstimmung.
Und so geht es weiter mit der Lektüre, NZZ am Sonntag vom 20. Februar 2005:
Zur Strafe in die Schule»
Ein Bericht über einen spanischen Jugendrichter, der jugendliche Gesetzesbrecher mit erzieherischen Massnahmen bestraft. Eigentlich für die Schweiz nichts besonders Neues, da hier eine Tradition eines täterspezifischen Strafrechts im Jugendstrafrecht lange Zeit Tradition hatte. Es wird in diesem Artikel über Spanien auch der Jugendgerichts-Präsident von Spiez mit folgenden Wort zitiert:
«Der Zerfall der Familien sowie der individuelle, egoistische, materialistische und teilweise infantilistische Lebensstil von Erwachsenen bringen es mit sich sich, dass die Erziehungsverantwortung der Eltern immer weniger wahrgenommen wird. Da ist es nur sinnvoll, wenn der Justiz ein zusätzliches Erziehungsinstrument in die Handgegeben wird und Jugdendliche vom Gesetz verpflichtet werden können, Schäden direkt bei den Ofpern wieder gutzumachen».
Die vielen «-ismen» verwirren mich.
Zudem ist es langweilig ständig die Geschichte vom Zerfall der Familien hören zu müssen. Seit Platon wird die Jugend immer schwieriger und seit Sokrates oder Pestalozzi zerfällt die Familie immer weiter.
Zunächst sollten wir festhalten, dass – wem auch immer sei Dank – endlich diese unsäglichen familialen, feudalen Beziehungen mit dem modernen Zivilrecht ein Ende genommen haben. Es gibt keine Blutrache mehr, die Menschen sind freier geworden im Eingehen ihrer Beziehungen.
Das ist ein Segen, kein Unglück.
Dass damit die Frage nach der Solidarität in einer Gesellschaft nicht gelöst ist, das ist klar.
Ebenso klar ist, dass die Zwänge, welche Frauen aufgebürdet waren, Angehörige zu pflegen, Kinder zu versorgen usw. sich so wie bis anhin nicht in die Zukunft hineinfortschreiben lassen.
Allzulange hat die Politik, aus vielen Gründen, vor dieser Tatsache einfach weggeschaut.
Aber seien wir ehrlich, erst vor gut dreissig Jahren haben die Schweizer Männer den Frauen die Mitwirkung in politischen Angelegenheit zugestanden.
Soll man jetzt erstaunt sein, dass Familien sich «auflösen», ein Narr, wer hier staunt oder sich empört.
Die Problematik der Individualisierung ist komplex, so viel lässt sich jedenfalls sagen, wenn die Wirtschaft von den Menschen mehr Flexibilität verlangt, Mobilität usw. dann lösen sich familiäre System notgedrungernerweise und ganz von selbst auf, unabhängig davon, ob die an diesen Familiensystemen beteiligten Menschen dies wollen oder nicht. Kaum jemand wohnt heute noch am gleichen Ort wie seine Eltern, die Familiensysteme sind geographisch zerstreut, was bedeutet, dass sie die ihnen abverlangte gesellschaftliche Solidaritätsleistung kaum mehr zu erbringen vermögen. Langsam müssen wir uns an eine Situation gewöhnen, dass Familien nicht mehr einfach so sozialräumliche Nähe herstellen, nicht zuletzt auf Grund der erwähnten räumlich gewachsenen Distanzen zwischen den Mitgliedern dieser Systeme.
Andere Modelle gesellschaftlicher Solidarität sind bisher nicht entwickelt worden, nicht zuletzt auch aufgrund eines eigenartigen Bewschörens famillialer Ideale, die so wie sie beschworen werden, real nie funtkioniert haben. Diese Beschwörung ist allerdings nicht eine bloss feinstoffliche in der Art einer Predigt, sie findet sich handfest in den Steuergesetzen, den Vorstellungen über Schulzeiten, Mittagstischen, Kinderkrippen, Pflege von Familienmitgliedern usw.
Und doch werden sie weiterhin beschworen die familiären Bande, wie der nächste Artikel aus der Sammlung der NZZ am Sonntag vom 20. Februar 2005 zeigt, wahrlich ein ergiebigert Sonntag, ist man versucht zu sagen. Hier findet sich auf Seite 41 die Schlagzeile «Geplagte Doppelverdiener. Oft lohnt es sich finanziell nicht, wenn Väter und Mütter die Erwerbstätigkeit aufteilen».
Es ist eine leidige Geschichte, seit langem verlangt die Frauenbewegung – und um ehrlich zu sein auch eine, wenn auch geringe Anzahl von Männern –, dass die Männer sich an Kinderbetreuung und Haushalt beteiligen. Sie tun es nicht wirklich, ihr Argument ist immer ein ökonomisches, dass es sich nicht lohnt, diese Tätigkeiten aufzuteilen, abgesehen von den übrigen sozialen Belastungen, welche die Paarbeziehung belasten.
Nun wurde diese Situation im Auftrag des seco (so heisst das schweizerische Staatssekretariat für Wirtschaft) untersucht und siehe da, es ist genau so, wie die betroffenen Menschen es schon immer gesagt haben.
Zunächst wird hierzulande immer noch der leicht peiorative Begriff «Doppelverdiener» verwendet. Ein Konzept, das der Individualisierung, die alllerorts so beklagt wird, vollständig entgegensteht.
Auf einmal – im Hinblick auf die ökonomische Basis einer Familie – erscheint das Paar als Einheit und nicht mehr die einzelnen Menschen, die es ausmachen. In der Wirtschaft, wo die Kohle verdient werden muss, da werden diese Paare selbstverständlich wieder in Individuen dekonstruiert, wer engagiert schon eine Familie, bzw. einen Familienteil, an dem Unproduktives hängt?
Und selbstverständlich bestraft das Steuersystem diese «Doppelverdiener», umso mehr je mehr sie verdienen. Zusätzlich sind schlauerweise die Kosten für die Kinderkrippen einkommensabhängig.
Einer der Forscher, Carlo Knöpfel, sagt denn auch, dass ansonsten das System eher das traditionellle Familienmodell vervorzuge, mit einem Alleinverdiener.
Frau Küng Gugler vom seco bestätigt dies: «Wir haben festgestellt, dass es sich leider in vielen Fällen nicht lohnt, die Arbeit unter den Partnern aufzuteilen».
Leider dumm gelaufen, möchte man dazu bemerken.
Es lohnt sich halt einfach nicht. Dafür lohnen sich alle jene Jeremiaden über den Zerfall der Familiensysteme und das Gejammer über die mangelnde Flexibilität der Menschen, den Zerfall der Solidarität.
Die gesellschaftliche Arbeitsteilung, wie sie sich im Gefolge der aktuellen Gesellschaftsentwicklung durchgesetzt hat, ist tatsächlich eine, die auf die Individualisierung gesetzt hat.
Die sozialstaatlichen Dispositive sind im wesentlichen familienersetzende, bzw. familienergänzende soziale Prothesen. Sie können schon längst nicht mehr funktionieren, sie haben kaum je funktioniert und waren immer hinter der gesellschaftlichen Entwicklung hintenher.
In einem gewissen Sinne erweist sich die moderne Gesellschaft im Hinblick auf die Bewertung ihrer realen Vergesellschaftung als zwiespältig.
So wie Produktion und Konsum organisiert sind, stürzen die herkömmlichen Modelle zur gesellschaftlichen Organisation von Intimität und Sexualität in eine grosse Krise, aus der sie nicht mehr herausfinden. Es gibt dazu zwei grundsätzliche Positionen, die eine, um die konservativen regligiösen Kreise – übrigens jeglicher Proveninenz – bedauert, verwünscht oder verflucht solches auf heftigste, die andere Position besteht in der postmoderner Wurstigkeit des «sowohl als auch», des «vielleicht oder auch nicht», beide Positionen vermögen es aber nicht, funktionierende gesellschaftliche Löungswege aus solcher Schwierigkeit heraus aufzuzeichnen.
Aber die Jeremiade in der NZZ am Sonntag vom 20. Februar 2005 ist damit noch nicht zu Ende. Auf Seit 46 beerichtet Beat Kappeler unter der Schlagzeile:
«Die gefährlichen Sprachfilter der Schule. Der schweizer Arbeitsmarkt ist ein Schmelztiegel bester Güte:
Er nimmt Mehr Ausländer auf als jedes andere Land Europas. Doch die Schule gefährdet diese Leistung».
Prof. Häberlin, der Heilpädagoge der Universität Freiburg im Üechtland hat diese Frage untersucht und festgestellt, dass die deutschschweizer Schule die Auslander systematisch übervorteilt. Es geht im wesentlichen darum, dass im Notensystem der Mathematik an anderen Fächern kein genügend grosses Gewicht beigemessen wird, damit werden die ausländischen Kinder, bzw. die nicht die vorherschende Regionalsprache sprechenden Kinder, benachteiligt. Kappeler interpretiert die Studienergebnisse so, dass die Sprachorientierung der Schule die ausländischen Kinder vom schulischen Aufstieg abhält. Als besonders erschwerend moniert er, dass etwa im Kanton Zürich viele Fächer im Dialekt unterrichtet werden. Wenn das so wäre, dann müssten sich wenigstens zwischen den französischsprechenden und den deutsch sprechenden Kantonen Unterschiede zeigen, weil in der suisse romande der Dialekt als ein zusätzlich erschwerendes Element nicht in hinzukommt.
Die Schule ist als Institution, welche sich widersprechenden Anforderungen zu genügen hat, besonders geeignet, um an ihr Spannungen abzustreifen.
Was Kappeler hier anspricht, ohne dass er es ausspricht, ist, dass die heutige Art, die Schule zu organisieren anachronistisch ist.
Die Schweiz gleicht einer Stadt mit gut der Hälfte der Einwohnerschaft von Gross-London. Dieses Land leistet sich den Luxus, die Schulwesen zu kantonalisieren, mit der Folge, dass nicht nur in allen vier offzielle Landessprachen unterrrichtet wird, es gibt nicht einmal innerhalb der Sprachregionen eine Gleichheit des Unterrichts, was die Integration nicht erleichtert.
Chancengleichheit kann es in einer selegierenden Schule logischerweise nicht geben; es gibt nur ungleiche Wahrscheinlichkeiten der relativen Benachteiligungn, die über individualisierende Techniken, dazu gehören unter vielen auch die Bemühungen der sonderpädaagogischen Diagnostik.
Ich habe diese verschiedenen Artikel, die ich in der NZZ am Sonntag vom 20 Februar 2005 gefunden haben, so ausführlich referiert um den Versuch zu machen, in welche Richtung die Analyse gehen sollte, welche diese sehr verschiedenen Informationen in eine Konvergenz zu bringen hätte, um das Konzept der Behinderung in seinen gesellschaftlichen Implikationen zu verstehen.
Man muss viel weiter ausholen als man gemein hin meint, sonst läuft man Gefahr, die Frage zu kurz angelegt zu analysieren.