Der Artikel ist mit einem Bild illustriert. Bilder sind immer auch begleitende Kommentare des Inhalts.
Ein älterer, etwas buckliger Mann schiebt eine Frau im Rollstuhl über einen Platz. Die Legende zu diesem Bild lautet: »Es gibt keinen typischen IV-Rentner. Die individuellen Lebenslagen der Bezüger sind sehr unterschiedlich. Entsprechend schwierig ist es, über den Anspruch auf eine Rente zu entscheiden«.
Zwei Dinge fallen bei dieser Bildlegende auf: »IV-Rentner« so steht es im Text, wird im generischen Maskulinum verwednet, sind Frauen offenbar stillschweigend mitgemeint, was sie gewiss freuen wird, denn offenbar, so suggeriert das Bild, ist die Frau im Rollstuhl der »IV-Rentner«.
Weiter wird wie fast immer als Illustration für Invalidität das Bild des Rollstuhls, den gehbehinderte Menschen verwenden müssen, evoziert, analog, wie auch das Piktogramm, das auf Behinderung verweist, bei Parkplätzen, Toiletten usw. immer das eines Menschen im Rollstuhl ist.
Wo der Rollstuhl zur Anwendung gelangt, steht die Invalidität ausser Frage, denn das alles ist nicht so klar und einfach, in anderen Fällen, wie der Beitrag des Arbeitgeberpräsidenten zeigt. Visibilität von Behinderung als einer Behinderung des Gehens auf zwei Beinen ist das offenbar entscheidende Kritierium. Nicht oder kaum je angesprochen wird der latente Gehalt des »aufrechten Ganges«, der offenbar die Menschen von den Tieren unterscheiden soll.
Aber zunächst geht es im Artikel um viele andere Dinge etwa darum, dass wieder einmal betont wird, wie wichtig »Früherkennung« sei, wie wenn Beeinträchtigung, Behinderung, Invalidität, was auch immer, ein stabiles Phänomen wäre, das man »früherkennen« könnte.
Ein grosser Teil der Problematik besteht ja unter anderem gerade darin, dass es nicht so einfach ist, zu erkennen, worum es sich überhaupt in der Regel handelt.
Das einzige, was ÄrztInnen zu erkennen in der Lage sind, und auch das meist nur, wenn sie die PatientInnen schon jahrelang kennen, ist der Umstand ob ein Mensch in der Lage ist, zu arbeiten oder nicht.
Die Ärzte bekommen im Artikel ihre Schelte und dann geht es auch noch dem Ivalliditätsbegriff an den Kragen. Hier muss aus der Sicht des Arbeitgeberverbandspräsidenten endlich einmal aufgeräumt werden. »Ins Auge zu nehmen ist hier vor allem die gealtig gestiegene Zahl von Renten an psychisch Erkrankte. Diese Renten sind es auch, die in der Öffentlichkeit am wenigsten verstanden werden, weil diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen kaum sichtbar sind«.
Wenn das nur nicht ins Auge geht, Herr Arbeitgeberpräsident. Gleich anschliessend an diese tiefsinnige Erkenntnis kommt einer jener Wundersätze, die inhaltlich vollständig vakuimiert sind. Man muss sich das mal so richtig zu Gemüte führen, was da geschreiben steht:
»Es ist damit die anspruchsvolle Aufgabe gestellt, den Begriff Invalidität neu zu definieren, ohne dass bestimmte Menschen gewissermassen aus dem sozialen Netz fallen«.
Die Vorschläge gehen dahin, dass nicht mehr die Hausärzte, welche die PatientInnen oft aus jahrelanger Erfahrung kennen, die Arbeitsunfähigkeit beurteilen, sondern spezielle IV-Ärzte, was nach Ansicht des Arbeitsgeberprädisendeten, »den Druck von den Hausärzten wegnimmt«.
Der Druck wir dafür auf der Seite derjenigen erhöht, die eine Rente beziehen wollen:
»Die Mitwirkung der Versicherten muss unbedingt verstärkt werden, und das Taggeld muss wegfallen, wenn die Mitwirkung verweigert wird. Leistungen sollen nur noch ab Anmeldung bei der IV und nicht mehr rückwirkend zugesprochen werden, wobei diese Massnahme nicht durch eine frühere Anmeldung unwirksam werden darf«.
Das ist erfrischend klar gesagt, so dass es jeglichen Kommentars entbehren darf.
Zur Finanzierung hat die Arbeitgeberseite auch noch so ihre Vorstellung, so möchte sie einerseits die Finanzierung durch Lohnprozente möglichst wegfallen lassen, da diese ja bekanntermassen so etwas wir Gift für den Wirtschaftsstandort Schweiz sind, zum Glück gibt es da den Schatz des Nationalbankgoldes, das niemand mehr braucht, also könnte damit das IV-Loch gestopft werden. So viel zur Phantasie der Arbeitgeber im Umgang mit einem sozialen Problem zu dem sie ja in einem gerüttelt Mass beitragen, aber das steht hier nicht zur Debatte. Wichtig scheint dem Präsidenten der schweizerischen Arbeitgeber zu sein:
»Die IV ist eine Volksversicherung und nicht eine blosse Arbeitnehmerversicherung, weshalb nicht die Sozialpartner allein zur Sanierung beitragen dürfen«.
Nun er schreibt tatsächlich »dürfen«, wo er »müssen« meint.
Die SozialpartnerInnen werden ihm so viel Engagement danken, dass er sich dafür einsetzt, dass auch andere zur Sanierung der IV beitragen dürfen.
Zwei Seiten vorher, auf Seite 13 wird in einem längeren Artikel geschreiben, dass die Wirtschaftskommision des Ständerates das Bundesgold dafür einsetzen möchte, die IV und die AHV zu entschulden.
Auf der gleichen Seite steht ein mit einem Bild illustrierter Artikel mit dem Titel:
»Embryonenschutz aus Glas. Ritzen am Verbot er Präimplantationsdiagnostik«.
Die Illustration zeigt zwei Hände in einem Labormantel, die eine Hand hält einen Glaskörper, die andere eine Pipette. Das ist das, was wir Laien unter Gentechnologie uns vorzustellen vermögen. Laborkittel, Glaskörper und Pipetten. Die Legende zu diesem Bild lautet: »In vitro darf der Embryo in der Schweiz nicht genetisch untersucht werden. Dieses Verbot soll geprüft werden«.
In vitro das meint, und obwohl Latein, versteht das inzwischen jede(r), meint im Glas, also in der Laborschale dürfen die künstlich befruchteten Eier und Zellhaufen nicht auf genetische Veränderungen hin untersucht werden.
Der Artikel wird mit dem folgenden Lead eingeleitet:
»Im Bauch der werdenden Mutter darf der Embryo auf Krankheiten hin untersucht und allenfalls abgetrieben werden. In vitro ist eine solche Untersuchtung beim künstlich erzeugten Embryo hingegen verboten. Zulässig ist wiederum die genetische Untersuchung der unbefruchteten Eizelle. Der Nationalrat wird voraussichtlich in der kommenden Session über die umstrittene Logik dieser Regelungen brüten müssen«.
Hoffen wir, dass der Nationalrat nicht zum schnellen Brüter mutiert. Was die Einleitung zu diesem Artikel zeigt, ist nicht nur die offensichtlich willkürliche und jeglicher Logik entbehrende Gesetzgebung der Schweiz.
Sie zeigt auch, dass der Weg zur Hölle mit Ethikkommissionen gepflastert ist.
In der macdonaldisierten Gesellschaft wird auch die Ethik macdonaldisiert.
Der Diskurs in die Eugenik ist ein Weg der vielen kleinen Schritte, die allesamt mit Ethikkommissionen abgesichert werden.
Jede dieser Ethikkommissionen bedenkt genau jenen Schritt, der ihr zur Begutachtung vorgelegt wird.
Nicht bedanken kann und darf sie, da dies nicht ihrer Aufgabenstellung entspricht, die Logik des gesamten Projektes, das ihr vielleicht zum Zeitpunkt ihrer Entscheidfindung noch nicht einmal in allen Details klar ist.
»Seltsam im Nebel zu wandern«, so hat Hermann Hesse, allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang gedichtet. Die Ethikkommissionen stolpern gewissermassen durch den Dschungel möglicher Sharholdervalue-Interessen und wägen Menschenwürde gegen präsumptive Attraktivitätseinbussen eines Wirtschaftsstandortes Schweiz ab – immer irgend die paranoide Angst eines möglichen Arbeitsplatzverlustes im Hinterkopf – ab.
Sie gelangen zu Lösungen, die nebeneinander ausgelegt, die offenbare Unlogik ihrer Entscheidungen anzeigt.
Im Artikel selbst muss der gesunde in vitro gezeugte und getestete Valentin dafür hinhalten, wie nötig solche Anpassungen der Gesetzgebung ist.
Auch die Gegner der Präimplantationsdiagnostik kommen im Artikel zu Wort:
»Die Gegner der Zulassung der Präimplantationsdiagnostik fürchten hingegen, diese Methode könne zu Eugenik und Gechlechterselektion sowie zu einer Diskriminierung der Behinderten führen. Es gebe kein Recht auf ein gesundes Kind, machten sie in der Kommission geltend. Die PID (Präimplantationsdiagnostik / eog) ist für ihre Gegner ein weiteres Symptom des menschlichen »Machbarkeitswahns«.
Laut Metthias Bürgen vom Bundesamt für Gesundheit ergibt sich aus diesen Überlegungen bei den Gegner die grundsätzliche Angst vor unerwünschten veränderungen im Menschenbild schlechthin.
Die Angst nämlich, deer Mensch, das genetische »Zufallsprodukt«, werde immer mehr zum Produkt einer bewussten Auswahl. Solche Befürchtungen weist Felix Gutzwiler zurück. Der Eugenik und der Geschlechterselektion seien bereits jetzt in der Verfassung klare Schranken gesetzt. Artikel 119 der Bundesverfassung verbietet in der Tat die Anwendung der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, um beim Kind bestimmte Eigenschaften herbeizuführen. Laut Gutzwiler sollen sich die Untersuchungen im Rahm der PID angesichts der erlaubten Pränataldiagnostik auf schwere Erbekrankehiten beschränken«.
Der Mensch, das »genetische Zufallsprodukt«, das ist eine falsche, eine grundfalsche Formulierung. Jemand hat einmal im Zusammenhang zwischen Genen und Umwelt gesagt, wenn man nach der Priorität frage, dann sei das ähnlich, wie wenn man bei einem Geigenkonzert frage, ob denn die Musik in der Geige oder im Geiger sich befinde. Bei der Musik sei es klar, dass sie entstehe dadurch, dass der Geiger auf der Geige nach einem bestimmten Muster von bewegungen auf ihre spiele und so ähnlich verhalte es sich auch im Zusammenspiel zwischen Genen und Umweltbedingungen.
Unterstellt man solcher Überlegung eine bestimmte Logik, dann ist es offenbar grundfalsch, Menschen als »genetische Zufallsprodukte« zu bezeichnen.
Unabhängig von den Verlautbarungen irgendwelcher Spezialisten ist es offensichtlich, dass das eugenische Programm schon längst in die Praxis umgesetzt wird, sonst würde man nicht aus Indien hören, dass mit der Möglichkeit der embryonalen Geschlechterbestimmung, die Zahl der geborenen Mädchen stetig zurückgehet. Es ist ja durchaus auch denkbar, dass frau eines Tages das Argument umdreht und das männliche Geschlecht als »Erbkrankheit«, als eine Art genetischen Schmarotzer bezeichnet, auf das man verzichten könnte.
In den science fiction Romanen sind alle diese Überlegungen schon längst in allen Folgen durchgedacht worden. Sie zu lesen kommt einer Archäologie des Zukünftigen gleich, erschreckend ist die Naivität mit welcher heute ganz praktisch-pragmatisch, allein gelenkt von einer Chimäre von »Fortschritt« an solche Fragen herangegangen wird.
Im »Beobachter« finde ich auf Seite 34 die Geschichte einer Frau, die es vielleicht bald nicht mehr zu schreiben gibt, wenn die obigen Entwicklungen fortgeschrieben werden. Die KLM, die niederländigsche fluggeselslchaft, hat sich geweigert, eine Rollstuhlfahrerin zu transportieren. Die Frau ist seit ihrer Geburt an einer spinalen Muskelatrophie erkrankt. Sie hat immer wieder Reisen unternommen, auch solche mit dem Flugzeug. Die Frau braucht einen Blasenkatheter, der sich in PET-Flaschen entleert, die während des Flugs in die Toilette geleert werden müssen. Die KLM verbietet aber ihrem Personal, bei der Entleerung der Urinflaschen zu helfen. Da die Reisende das Formular, dass sie während des Fluges nicht auf Hilfe angewiesen ist, nicht unterzeichnet hat, wird sie von der Fluggesellschaft nicht mehr mitgenommen.
Es gibt nichts zu kommentieren zu dieser Meldung, ausser dass der Artikel in der NZZ und jender im Beobachter in einer äussert beunruhigenden Art und Weise untergründig miteinander verbunden sind, in ihrer Ablehnung bestimmter Menschen als Menschen durch Menschen, die wissen, was sie tun.