Im Interview scheinen die «Todsünden» auf, kommt mir bei der Lektüre in den Sinn: «Völlerei», «Wollust», «Traurigkeit», und irgendwo auf dem Internet finde ich dann den folgenden Text, den ich nicht weiterüberprüft habe, und den ich hier zitiere:
«Erstmals wurden die Todsünden von dem griechischen Theologen Evagrius von Pontus erwähnt. Er erstellte einen Aufzählung von acht Todsünden und niederträchtigen Leidenschaften der Menschheit: «Völlerei, Wollust, Habgier, Traurigkeit, Zorn, geistige Faulheit, Ruhmsucht und Stolz».
Die aufsteigende Reihenfolge ergibt sich durch die Schwere der Versündigung, wobei der Stolz die schlimmste Sünde für Evagrius darstellte. Papst Gregor I., der Große reduzierte im 6. Jhr. die ursprünglich «Acht Todsünden» auf die bekannten «Sieben Todsünden», welche sich im Allgemeinen in der katholischen Glaubenswelt durchsetzten. Papst Gregor fasste dann «Ruhmsucht & Stolz» zu «Hochmut» und «Traurigkeit & Faulheit» zu einer Sünde zusammen. Die Reihenfolge änderte er ebenso und fügte noch den «Neid» hinzu: «Hochmut, Neid, Zorn, Traurigkeit, Habgier, Völlerei und Wollust». Im 7. Jhr. wurde die «Traurigkeit» mit «Trägheit» und «Habgier» mit «Geiz» neu definiert.»
Dass Traurigkeit und Fauhlheit zusammengefasst werden, bei der Definition der Todsünden, wem kommt dabei nicht die Diskussion um den Rentenmissbrauch durch Menschen mit Depressionen in den Sinn, könnten die sich nicht ein wenig besser zusammen nehmen, wie wir auch, fragte der Neid und stolzierte davon.
Wenn der Säufer die leeren Flaschen sieht, dann überkommt ihn das Schuldgefühl, und genauso geht es dem Fresser, der den Speck auf den Rippen wieder abhungert, bis er wieder am Bratwurststand steht, die Bratwürste zählt und schon wieder eine zur Hand hat.
Beiden geht es soweit gut in ihrer Sucht, psychisch. Physisch ergeben sich halt ein paar Probleme aus ihrem Verhalten, der eine bewegt sich auf eine Leberzirrhose zu «da es jetzt heisst, ich müse ganz aufhören, bewillige ich mir nur noch 2 Dezi jeden Tag»; beim anderen haben sich ab 50 die einen oder anderen Gesundheitsprobleme ergeben: «doch ab 50 spielte das System nicht mehr mit, es musste sich etwas ändern».
Der eine hat vorher 1 bis drei Flaschen Weisswein pro Tag getrunken; der andere hatte früher 165 Kilo Gewicht, jetzt sind es noch 130.
Ihr Argumentationen erinnern an Batesons Aufsatz zur «Kybernetik des Selbst» in seinem Buch «Ökologie des Geistes». Die Sucht wird dort dargestellt als eine Art Stolz oder Hochmut des Selbst. Immer wieder muss der Süchtige mit der Droge kämpfen, um immer wieder zu verlieren, so lange, bis er sich dem unterwirft, was stärker ist als er. Daraus haben die anonymen Alkoholiker und in ihrer Nachfolge viele Selbsthilfegruppen ihr Konzept gewonnen. Seine innerste Botschaft lautet: «Es gibt etwas, das grösser ist als ich».
Ohne Versuchung keine Sünden und ohne Begehren keine Versuchung, was wären wir ohne unsere Begierden?
Mein BMI beträgt 25,14 = Übergewicht!!!!!
Was ich nur als Jux am Computer berechnet habe, trifft mich mehr als ich erwartete hätte. Welche Ideologie von Normalität hat mir da den Geist versaut!
Immer wieder taucht in der Diskussion um Sucht, suchtmässiger Verhalten, usw. die Frage nach der Schuld auf. Der latente Vorwurf abhängigen Menschen gegenüber – manchmal wird er auch manifest geäussert – ist, dass sie charakterschwach seien – Süchtige tragen für ihr Verhalten eine Verantwortung. Wenn Sucht aber genetisch bedingt ist, dann entfällt die Verantwortung. Denn für seinen Genpool kann niemand etwas – noch nicht!
Otto Speck schreibt in der VHN (73. Jg. S. 389-399):
«In dem Masse, in dem das Verhalten als neural und genetisch verursacht gilt und medikamentös gesteuert werden kann, verringert sich die Bedeutung der persönlichen Verantwortlichkeit für das eigene Handeln, «It's nobody's Fault («Keiner hat Schuld») heisst ein vielgelesenes Buch in den USA, das Eltern schwierieger Kinder «neue Hoffnung und Hilfe» bringen und sie von vielen Probleme der Erziehung und Selbsterziehung befreien soll», S. 399.
Es ist ein weiter Weg dorthin, er enthält in sich die Geschichte dessen, was Max Weber als «portestantische Ethik» bezeichnet hat. Dass eine solche Ethik sich aus dem den Todsünden der Völlerei, der Habgier und der Wollust fröndenden englischen Adels des 17. und 18. Jahrhunderts entwickelt hat, das ist jedem bekannt, der Tom Jones gelesen hat.
In der Sammlung des Kunsthauses in Zürich hängt ein Bild, ich glaube der Surrealist Max Ernst hat es gemalt, mit dem Titel «les cages sont toujours imaginaires». Die Gefängnisse sind immer vorgestellte, imaginierte, eingebildete!
Es braucht immer die Idee, etwas oder jemanden einzusperren, bevor es passiert, dass jemand eingesperrt wird.
Die Gene sind zu solchen Gefängnissen des Denkens entwickelt worden. Der sie als Legitimation verwendende Diskurs ist ein Diskurs des Abhängigmachens, der Unfreiheit. Abhängigkeit führt auf der Ebene des Subjektes immer zur Unmündigkeit und hat etwas zu tun mit Sucht, also um ein oben verwendetes und kritisertes Konzept aufzunehmen, mit dem Vorwurf der Charakterschwäche. Wenn sie gefördert wird durch ein Denken, das sich wissenschaftlich nennt, dann wird das Licht selbst verwendet um Nebel und Dunkel zu erzeugen, ein Paradoxon gewiss.
«Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit» hat Kant festegestellt und dann gesagt: «sapere aude!» sei der Kampfruf der Aufklärung und ihr moralischer Vorwurf an jene, die sich nicht trauen, das Wagnis des Wissenwollens einzugehen. Dass es im Wissen um das eigene Unwissen ein Moment der Aufklärung geben könnte, hat freilich schon Sokrates gewusst und Sokrates wurde zum Tode verurteilt durch jene, denen an der Perpetuierung der Abhängigkeit viel gelegen war.